12. Stremel: Im Baumarkt angeben.

Der freundliche Händler teilte Jan mit, dass er auch noch Agent der Versicherung für das motorisierte Fahrrad sei. Er würde das Nummernschild sofort montieren, wenn Jan noch die 70 Euro Jahresprämie bezahlen würde. Soviel Geld hatte Jan nicht mehr bei sich. Daher meinte er höflich: „Meine anderen Lieferanten schicken mir eine Rechnung und ziehen das Geld vom Konto ein. Geht das auch bei Ihnen?“

Der Händler zögerte einen Augenblick und musterte Jan noch einmal von unten bis oben. Dann sagte er gedehnt: „Nun, das könnte ich auch machen. Dazu müssen Sie mir aber noch eine Einzugsgenehmigung auf Ihr Konto geben.“

Das konnte Jan sich erlauben. Wenn es ganz knapp auf seinem Konto zugehen sollte, konnte er immer noch von seinem Anteil am letzten „Geschäft“ leben. Nachdem auch dieser Punkt geregelt war konnte die beiden sich endlich auf den Weg machen. Jan begleitete Dieter bis zum Bus. Als der in Richtung Baumarkt eingestiegen war, setzte Jan den Helm auf und machte sich mit dem neuen Gefährt vertraut. Zunächst fuhr er nicht die volle Geschwindigkeit. Je mehr aber er mit den einzelnen Bedienelementen umgehen konnte, desto mutiger wurde seine Fahrweise. Bremse vorne mit der linken Hand und Bremse hinten mit der rechten Hand. Auch den Gasgriff konnte man mit der rechten Hand drehen. Eigentlich gab er ja kein Gas im üblichen Sinne sondern regelte mit einem Potentiometer die Stromzufuhr für den Elektromotor. Der Verkäufer hatte noch darauf hingewiesen, dass es ein bürstenloser Motor sei. Jan konnte sich etwas darunter vorstellen. Der Motor hatte Dauermagnete und war somit wartungsfrei. Bei der gegenwärtigen Finanzlage der drei war das keineswegs unerheblich. Der Verkäufer hatte noch darauf hingewiesen, dass man den Akku doch bitte nicht ganz leer fahren möge und auch nicht unbedingt ganz voll laden möge. Damit könne man die Lebensdauer erheblich steigern.

Als Jan den Parkplatz vor dem Markt erreichte, zeigte der Tacho noch eine Restladung für 20 Km an. An der Bushaltestelle sah er Dieter und meinte anerkennend: „Das Ding läuft wie Schmitz Katze. Ich könnte mich damit anfreunden. Willst Du nicht doch lieber draußen bleiben und üben. Dann kannst du gleich die Umgebung abklappern und passt auf das E-Bike auf.“

Die Idee ist gut. Dann schlagen wir 2 Fliegen mit einer Klappe.“ Dieter schien richtig begeistert.

Jan musste etwas dämpfen: „ Du musst aber aufpassen, dass der Tacho mindestens noch 10 km Reichweite anzeigt. Sonst kommen wir nicht mehr nach Hause.“ Dann zeigte er Dieter noch einmal alles, was auch schon beim Kauf demonstriert worden war: Den Schlüssel für die Stromzufuhr, die Bremsen, den Beschleunigungsgriff und auch das Schloss aus Stahlseil. Damit sollte Dieter das Rad an einen Fahrradständer anschließen, wenn er einmal zu Fuß die nähere Umgebung anschauen würde. Jan gab Dieter den Helm, denn sie besaßen nur den einen. Dann ging er auf den Eingang des Baumarktes zu  und schließlich auch hinein.

Für die kleine Stadt war dies ein riesiger Markt. Alle Dörfer und Kleinstädte aus dem Umland rekrutierten Kunden für den Markt. Jan sah viele Männer, aber auch einzelne Frauen, welche anscheinend genau wussten, was sie für ihr Heim brauchten. Die Zeiten ändern sich, dachte Jan. Vor 30 Jahren gab es Frauen fast nur in Begleitung vom Männern. Heute gehören sie selbstverständlich zum Bild einer kritischen Kundschaft im Baumarkt. Da sieht man einige mit prüfenden Handgriffen ein Werkzeug ausprobieren, andere schätzen die Qualität von Laminat ein, wieder andere prüfen in der Sanitärabteilung die Armaturen von Bad oder Dusche. Kein Mann wundert sich heute mehr darüber. Sinnen stand Jan vor der Abteilung Gartenpumpe und Rasenmäher. Wie schön wäre es, ein eigenes Haus zu haben. Einen kleinen Garten, vielleicht mit einem Pool oder einem kleinen Teich….

Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“ Irgendwie erschrak Jan, als er in das Gesicht einer freundlichen Fachverkäuferin blickte.

Jaaa“, sagte er sehr gedehnt,“ ich suche ein Filterrohr für einen Gartenbrunnen.“ Das half ihm aus der Verlegenheit. Es war das Einzige, was ihm auf die Schnelle einfiel, um die Dame in Verlegenheit zu bringen. Doch das klappte nicht.

Kommen Sie bitte mit“ freundlich, aber bestimmt ging die junge Frau voraus. In einer kleinen Nische zwischen zwei Regalen mit Hauswasserwerken und Tauchpumpen für Rohrbrunnen standen tatsächlich Filterrohre. Sie waren alle ein- ein viertel Zoll stark. Aber es gab zwei Ausführungen: Einmal mit Messinggaze als Filterelement und einmal in Plastik mit länglichen Schlitzen.

Ich kaufe für einen Freund ein, da muss ich tatsächlich einmal nachfragen, ob er Messing oder Plastik vorziehen würde.“ Jan unterhielt sich gerne mit der Dame, die auch prompt Erklärungen hervorsprudelte:

Das PVC Rohr ist wohl eine wenig preiswerter, aber der Messingfilter ist innen liegend und daher weniger empfindlich gegen grobes Gestein oder andere im Boden liegenden Gegenstände. Es ist ja unglaublich, auf welche Sachen manche Brunnenbohrer schon gestoßen sind. Es sind schon Schätze dabei im Boden gefunden worden.“

Die Frau schien in ihrem Element zu sein. Eine Vollblutverkäuferin: „Ein Kunde erzähle uns einmal, er sein in drei Meter Tiefe auf einen hohl klingenden Körper gestoßen. Dann habe er extra einen Bagger geliehen, um nach zu graben und eine Kiste mit Weltkriegsmunition gefunden. Damit die Bundeswehr aber nicht seinen ganzen Garten um wühlen würde, habe er die Kiste heimlich in einen Schrottcontainer auf eine Baustelle bei Nacht und Nebel entsorgt. Ich erklärte ihm, das das ungesetzlich sein und seither ist er nie wieder hier gesehen worden.“

Jan dachte daran, dass er die nette Frau wahrscheinlich auch nie wieder sehen würde und seufzte ein wenig. Dann sagte er: „Da werde ich meinen Freund drauf aufmerksam machen, aber so oft wird das ja nicht vorkommen, oder?“

Hin und wieder wird schon mal was im Erdreich gefunden, aber nicht so spektakulär. Möchten Sie sich noch Spüllanzen und Erdbohrer anschauen? Dann können sie ihrem Freund auch darüber erzählen.“

Irgendwie hätte Jan noch gerne weiter geplaudert, aber er musste ja herausbekommen, wo das Büro war. An die Verkäuferin gewandt meinte er: „Ich komme bestimmt noch einmal wieder. Dann werde ich“, er machte eine Pause und versuchte das Namensschild der Dame zu lesen, „nach Ihnen fragen, Frau Mommsen!“

Ja, bitte tun Sie das, auf Wiedersehen.“

Jan verabschiedete sich und wollte nun einfach am äußeren Rand des Marktes entlang gehen, um den Eingang ins Büro zu finden. Meistens sind an den Wänden eines Marktes Nischen für Sägezuschnitte, bestimmte Waren, die man nur einzeln ausgeben konnte oder durfte oder auch bestellte Sachen, die die Kunden abholen wollten. Jan fand zwar die Tür zu den Toiletten, aber von einem Büro konnte er zunächst nichts erkennen. Dann entdeckte er neben der Damentoilette eine zweite Tür. In einiger Entfernung stellte er sich auf die Lauer, um zu erkennen, wer dort aus- und einging. Erstand genau vor einem riesigen Regal mit allen möglichen Schrauben. Es dauerte seine Zeit, aber dann kam ein Verkäufer auf ihn und fragte, ob er helfen könne. Jetzt musste Jan improvisieren, damit er den Mann loswerden würde.

Ja, sagen sie mal, ich suche schon seit einiger Zeit eine M10 Maschinenschraube. Wenn Sie mir da helfen könnten?“

Triumphierend bückte sich der Mann und holte ein Bliesterpack mit 6 Schrauben hervor. „Wie lang müssen die denn sein?“, wollte er wissen.

25 mm, und bitte mit Linksgewinde. Hatte ich das nicht gesagt?“ Jetzt hatte Jan den Verkäufer da, wo er ihn haben wollte.

Mit Linksgewinde? Wofür brauchen Sie denn so etwas?“ Der Mitarbeiter des Baumarktes verlor fast die Fassung.

Ich habe letztens die Scheibe an meiner Flex gewechselt und die Befestigungsschraube leider verloren.“ Jan hatte sich die Antwort nicht vorher überlegt. Es kam ihm einfach so zugeflogen. Die Zeit auf dem Bau machte sich hier bezahlt.

Bester Mann, kein Geschäft der Welt wird sich Schrauben mit Linksgewinde ins Regal legen. Da müssen Sie bei ihrem Hersteller nachfragen oder ins Spezial Schraubengeschäft bei Wippermann in der Helgolandstraße mal nachfragen. Da kann ich leider nichts für Sie tun.“ „Trotzdem vielen Dank.“

Jan war froh, dass die Unterhaltung vorbei war. Aus den Augenwinkeln blickte er weiter zu der fraglichen Tür. Er wartete darauf, dass jemand mit einer Kassette von einer Ladenkasse hineinging oder herauskam. Um nicht aufzufallen, ging er die ganze lange Wand ab, indem er so tat, als betrachtete er die Auslagen in den Regalen. Er wusste, dass überall Videokameras im Markt hingen und mit der sogenannten künstlichen Intelligenz würden die ein auffälliges Verhalten eigenständig merken und ihn besonders beäugen. Das wollte er vermeiden. Plötzlich sah ganz in einer anderen Ecke dort wo die Boden- und Wandfliesen in den Auslagen hingen eine Kassiererin mit einer Kasse in eine Tür verschwinden, die er wohl zuvor für den Zugang zu einer Tischlerei gehalten hatte. Nun wollte er aber auch hier rausgehen, damit er nicht doch noch auffiel. Er schaute noch auf die Uhr, es war halb fünf. Also war um halb fünf Schichtwechsel an den Kassen. Jan ging hinaus auf den Parkplatz, um sich mit Dieter zu treffen.

Jetzt im Herbst begann es schon zu dämmern. Aber man konnte auch ohne die Beleuchtung der Bushaltestelle so ziemlich alles sehen. Leider war von Dieter und dem E-bike nichts zu sehen. Vielleicht ist er besonders gründlich mit seinen Beobachtungen meinte Jan in Gedanken. Gut, dann konnte er sich die Busfrequenzen merken. Also jetzt war es kurz nach halb Fünf, wann würde der Bus stadteinwärts wohl kommen. Während Jan versuchte, den ausgehängten Fahrplan zu interpretieren, kam tatsächlich ein Bus. Der hielt fast 10 Minuten an der Haltestelle und ließ alle möglichen Leute mit Traglasten und Einkäufen einsteigen. Als er endlich abfuhr, kam auch Dieter mit dem Fahrrad.

Mensch Dieter! Du hast es wohl sehr gründlich gemacht als Kundschafter. – Wieso hältst du denn deinen Arm so komisch?“

Oh oh,“ stöhnte Dieter, „ich bin dahinten in den Büschen auf die Fresse geflogen.“

Ach du mein Gott. Hätte ich dich bloß nicht draußen machen lassen. Ich mach mir jetzt aber Vorwürfe.“ Jan war ganz zerknirscht.

An der Stelle wäre dir das auch passiert. Dort zwischen den Büschen geht ein Fußweg bis fast an den Fluss. Man geht über eine Behelfsbrücke und ist dann auf der Straße mit einer Bushaltestelle. Ideal für uns. Hingefallen bin ich, weil ein Poller mitten im Weg eingebaut war. Der soll wohl Autos davon abhalten, den Weg zu benutzen.“

Das ist zwar prima, aber was machen wir mit deinem Arm?“

Der ist morgen bestimmt wieder OK. Das Rad hat auch nichts abbekommen. Scheint ein solides Teil zu sein.“

Jan meinte dann sinnierend: „So ein Teil kann man wegwerfen, wenn es kaputt ist, oder vielleicht kann man es reparieren. Bei einem Lebewesen wird es schwieriger. Sollen wir hier die Abfahrtzeiten noch weiter beobachten, sollen wir nach Haus fahren, was schlägst du vor?“

Wir bleiben!“ Dieter war sehr sicher in seiner Aussage.

Es war jetzt deutlich nach fünf Uhr. Die Busse hielten nur immer dann länger, wenn im Baumarkt Schichtwechsel war. Entweder hatten die Verkäufer Feierabend oder die Angestellten. Das konnten die beiden nicht in Erfahrung bringen. Von einem Panzerwagen, der die Tageseinnahmen abholte, war auch nichts zu sehen. Wahrscheinlich würde der morgen Vormittag kommen. Schließlich kamen um nach acht Uhr abends die letzten Mitarbeiter aus dem Markt und dann brannte nur ein Notlicht. Vorher hatte Dieter schon den Bus in die Stadt genommen, damit nicht auf einmal keiner mehr fuhr. Das wusste man nicht. Jan setzte den Helm wieder auf und fuhr mit dem kleinen Fahrzeug nach Haus. Komfortabel, komfortabel, dachte er bei sich, als ihm der Fahrtwind um die Ohren fegte.

 

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