17. Stremel: Zahltag

 

  1. Stremel: Die Zahltag

Von seiner Zeit auf verschiedenen Werften wusste Jan, dass auf jedem Schiff, das dampft und segelt ein Zahlmeister mitfährt oder mindestens jemand, der diese Funktion ausübt.

Während Jan den Dieter noch davon abhalten musste, sich gleich über das Zählen der Beute her zu machen, kam Werner durch die noch offene Haustür in den Flur zu Jans Wohnung.

„Dzień dobry kolegom!” Werner wollte wieder seine Sprachkenntnisse publizieren. Darauf platzte es aus Dieter heraus: „ Nun ist er endgültig bekloppt! Das hört sich an wie polnisch!”

„Mensch Dieter, wie hast du das erkannt?” Werner schien bestens gelaunt. „Wollen wir nun unser Zählen der Beute vorbereiten?”

Dieter wusste wieder nicht, was man vorbereiten sollte: „Wieso vorbereiten, wir machen 3 Haufen und jeder zählt seinen. Dann geht es los.”

„Was machen wir, wenn plötzlich Besuch kommt. Es kann immer jemand kommen und wenn es nur der Briefträger mit einem Einschreiben, der Paketbote, der eine Unterschrift haben will, ein Beamter wegen Volkszählung oder auch Zeugen Jehovas sind. Da sollten wir schon Vorbereitungen treffen, alles blitzschnell wegräumen zu können und nichts wieder durcheinander bringen zu müssen.”

„Ja, ja, unser Werner geht die Sache wieder streng wissenschaftlich an. Du stammst wohl tatsächlich noch aus dem Volk der Dichter und Denker…”. Jan fand die Angelegenheit belustigend.

Dann machte man sich daran, Werners Wünsche zu realisieren. Man stellte 3 Tassen auf den Tisch. Jan machte heißes Wasser, um schwarzen Tee aufbrühen zu können. Dann bekam jeder zwei kleine Plastiktüten und auf dem Tisch wurde eine große Plastiktüte und Jans angebrochene  Flasche Rum platziert. Eine Schranktür an den Küchenmöbeln wurde geöffnet und so viel Platz darin geschaffen, dass man alle Plastiktüten blitzschnell darin unterbringen konnte. Dann gab Werner noch einige Anweisungen: „Es ist wohl sicherer, wenn wir in 2 Durchgängen zählen: Zuerst sortieren wir die Scheine in Hunderter, Fünfziger, Zwanziger, Zehner und Fünfer.  Für jeden Schein gibt’s einen Beutel. Wenn das abgeschlossen ist können wir die leicht die einzelnen Scheine zählen, weil wir dann weniger durcheinander kommen. Sobald jemand an der Tür klingelt, werden alle Beutel in den Schrank geschmissen und jeder greift sich eine Tasse Tee.”

Die anderen beiden nickten und dann ging es los. Jan meinte noch: „Nun ist jeder von uns ein Zahlmeister.” Dabei grinste er Dieter an. Werner konnte mit dem Begriff nichts anfangen und mochte aber auch nicht fragen. Er beschloss für sich, den Ausspruch für eine plumpe Aufwertung der stupiden Tätigkeit des Zählens zu nehmen.

Am schnellsten füllte sich der Beutel mit den 50 Euro-Scheinen. Dann waren auch sehr viele Zwanziger dabei. Die Hunderter konnten sich auch sehen lassen in Bezug auf die Menge. Fünfer und Zehner wollten nur schleppend den zugedachten Beutel füllen.

„Können wir nebenbei auch einen kleinen Schluck Tee mit Rum verzehren?” Bei Dieter stiegt der Rumgeruch direkt ins Gehirn.

„Na gut” meinte Werner großzügig, obwohl es nicht sein Rum war den Jan hier aus geschenkt hatte. „Wenn die Tasse leer ist, dann gibt es aber nichts mehr bevor alles gezählt ist. Richte dich ein!” Als Jan den Tee aufgoss bemerkte er wie zu sich selbst: „Von den 50 Euro Scheinen sind wohl schon ein Tausend Stück im Beutel. Das wären allein schon 50 Tausend. Ich bin gespannt, was da zusammenkommt.”

Gerade wollte er jedem einen Schluck Rum in den Tee gießen, als es an der Haustür klingelte. Jetzt sollte das ungezählte Geld in eine große Tüte, alles schon sortierte sollte in den Küchenschrank, ganz unten links. Nachdem Jan die Haustür geöffnet hatte, schaut er er durch seinen Türspion in den Flur. Dort standen anscheinend zwei Männer. Noch einmal schaute er zurück nach dem verstauten Geld und öffnete dann die Wohnungstür.

„Guten Tag, mein Name ist Peckermach, Polizeihauptmeister, ich hätte gerne Jan Draballer gesprochen. Dies ist meine Kollegin Sandra Murawe.”

Jans Gehirn musste jetzt gleich mehrere Dinge verarbeiten. Die zweite Gestalt im Hosenanzug war eine Frau und was wollte die Polizei von ihm? Er merkte wie sein Magen-Darm Trakt wieder zu rumoren begann. Zum Glück bemerkte Werner wie Jan blass wurde und sagte ganz verbindlich: „Ja kommen Sie doch bitte herein, wir wollten grade eine kleine Feier veranstalten. Nehmen Sie Platz”

Die Dame im Hosenanzug lächelte. „Wir wollen Sie auch nicht lange aufhalten, was feiern Sie denn?”

Die Frage konnte Werner nicht in Verlegenheit bringen. „Wir haben uns zusammen ein E-Bike gekauft. Heute will keiner von uns  fahren und genehmigen uns deshalb eine Tasse Tee  mit Rum. Das Ereignis ist zwar schon eine Wochen her, aber wir habe es nicht so dicke, wenn Sie verstehen. Wir müssen warten, bis wieder Geld rein kommt.”

Der Kriminalhauptmeister schmunzelte nun auch und meinte: „Auch ich will es kurz machen. Wir haben gehört, dass Sie Besuch von einem Schwarzafrikaner hatten. Kennen Sie den und wissen wo er wohnt?”

Jan hatte sich ein wenig erholt und stotterte verblüfft: „Da..da… das stimmt tatsächlich, werden wir überwacht?”

„Kennen Sie den Mann, wissen Sie wo er wohnt?”

„Nein, wir kennen den nicht. Aber unser Kollege, der Dieter ist gehbehindert und kann das E-Bike bei sich nicht unterstellen. Daher kommt er damit zu  mir und wir bringen das hier in den Keller. Wahrscheinlich hat der Mann das gesehen. Er wollte das Rad kaufen. Ich konnte es nicht verkaufen, weil es mir nicht allein gehört.” Jan hatte sich tüchtig zusammengenommen und ergänzte noch. „Vielleicht wohnt der ja hier in der Nähe, aber wenn Sie uns beobachten, dann wissen Sie das ja besser als ich.”

„Wir beobachten dieses Haus nicht. Aber auf der anderen Straßenseite wohnt eine Beamtin im Homeoffice  von uns. Die hat am vergangenen Donnerstag zufällig einen Schwarzafrikaner hier hineingehen sehen. Weil wir grade eine Straftat aufklären müssen bei der ein Farbiger beteiligt war möchten wir jeder Spur nachgehen. Haben Sie etwas an der Sprache des Mannes bemerkt.”

„Oh ja, der sprach gebrochen Deutsch. Man konnte ihn kaum verstehen. Seine Texte waren fast ohne Grammatik. Wie z. B. Ich kaufen Fahrrad, bitte.”

Werner sprang Jan bei: „Also ohne Deklination und ohne Konjugation.”

Die Polizistin wandte sich an ihren Kollegen: „Ob wir das Fahrzeug einmal sehen könnten?”

Jan stand auf und bot sich an: „Ich gehe gerne mit Ihnen in den Keller. Warten Sie, ich muss den Schlüssel …”

Weiter kam er nicht, denn Werner fiel ihm ins Wort: „Lass mich das machen. Du kannst inzwischen wieder heißes Wasser für den Tee aufsetzen. Es riecht hier zwar wie in der Kneipe, aber kalt möchte ich das nicht trinken.” Werner nahm den Schlüssel und ging mit den beiden Polizisten hinunter in den Keller. Beim Hinausgehen meinte der Polizeihauptmeister: „Wir bedanken uns schon mal bei Ihnen und alles Gute weiterhin. Es war nett,  mit Ihnen zu plaudern.” Werner schloss die Wohnungstür hinter sich und ging mit Polizeibegleitung in den Keller.

Dieter atmete spürbar erleichtert aus: „ Pah, wenn der Werner nicht gewesen wäre…”

„Wieso, dann wäre ich in den Keller gegangen. Kein Problem.” Jan wunderte sich ein wenig.

„Ja hast du den Schein denn nicht gesehen? Den Fünfziger auf dem Boden? Der muss beim Zählen heruntergefallen sein und ich habe schnell den Fuß draufgehalten.”

Obwohl die Gefahr vorbei zu sein schien, war Jan wieder in Schwierigkeiten. Er fühlte regelrecht wie er fahl im Gesicht wurde. Das hätte furchtbar ins Auge gehen können. Es hätte ja streng genommen nur bedeutet, dass einer von Dreien mit Geld nicht umgehen kann. Jan schien es aber ziemlich brenzlich gewesen zu sein. Nachdem der „flüchtige Fünfziger” sorgfältig in der betreffenden Tüte verstaut worden war klopfte es auch schon an die Wohnungstür und Werner wollte wieder hinein. Die Polizei war schon auf der Straße im Abmarsch. Man wartete noch,  bis das Starten des Autos zu hören war. Dann widmete man sich dem Rum, dem Tee und den Scheinen. Bald war die komplette Wohnung mit dem aufdringlichen Duft von Rum erfüllt.

16. Stremel: Damen unterhalten sich.

 

Wenige Minuten nachdem Werner das Theater verlassen hatte eilte Claudia, die Assistentin von Else in die Maskenräume. Else bemerkte an ihr, dass sie prima gelaunt schien und richtig aufgekratzt guten Morgen wünschte und mit erwartungsvollem Gesicht Else anschaute.

Else erwiderte den „Guten Morgen“ und fragte ganz ungeniert: „Was ist mit dir, du bist ja so gut gelaunt. Hast du einen neuen Freund oder hat dir einer einen Heiratsantrag gemacht? Bist du für den Film entdeckt worden? Was ist los.“

In Claudias Gesicht schien die Sonne aufzugehen. Endlich konnte sie mit jemandem reden und ihre Neuigkeiten „an die Frau“ bringen: „ Also das mit dem Freund, das stimmt schon, aber für den Film hat mich keiner entdeckt und im Lotto gewonnen habe ich auch nicht.“

Else machte ihre Arbeit weiter und heuchelte Interesse. „Na, dann erzähl doch mal!“

In Wirklichkeit erwartete sie nicht viel Neues. Hatte sie doch schon viele Geschichten über gewonnene und verlorene Beziehungen von jungen Frauen gehört. In ihrer Euphorie bemerkte Claudia aber das Desinteresse der Kollegin überhaupt nicht.

Mein neuer Freund hat einen ganz tollen Job. Er arbeitet bei der Fa. Herodot als Fahrer für den Panzerwagen.“

Aha“, sagte Else. „Und was kann er sonst noch?“

Er hat sehr zuverlässige Einkünfte. Davon hat er mir erzählt. Mehr als er eigentlich dürfte, aber ich sag das ja auch niemand weiter.“

Else wurde etwas neugierig. Das durfte Claudia aber nicht merken, denn dann würde sie sich endlos bitten lassen, um das Geheimnis zu lüften.

Hm!“ Das war alles, was Else entgegnete, um Claudia herauszufordern mehr zu erzählen. Damit lag sie genau richtig. Claudia fühlte sich angestachelt, wenn jemand ihre Erzählungen anscheinend für nicht interessant hielt.

In dem Panzerwagen sitzen sie immer mit zwei Männern. Der Kollege neben ihm ist schwer bewaffnet.“

Ja, das ist wohl so!“, meinte Else scheinbar gelangweilt.

Claudia kam richtig in Rage: „Die sammeln am Wochenende meistens 5 oder 6 Millionen ein.“ Sie machte eine Pause, um die Wirkung auf Else abzuwarten. Als auch darauf wenig Reaktion zu bemerken war fuhr sie mit der Schilderung fort.

Was meinst du, was mit dem Geld passiert?“, fragte sie provokant.

Na, die bringen das zur Bank und weg ist es. Der Geldtransporter ist wieder leer.“

Da liegt ja grade das Geheimnis: Das machen sie nicht, jedenfalls nicht auf die Bank, wo das Geld eigentlich eingezahlt werden soll.“

Das zu verstehen schien Else nun doch ein wenig absurd. „Was soll das denn bringen, das Geld ist doch von den Geschäften in der Stadt und muss auf eine bestimmte Bank. Wenn da irgendetwas läuft kommt sofort die Polizei.“

Claudia machte eine Pause. Ganz verstanden hatte sie wohl auch nicht, wie der Trick mit der zweiten Bank funktionierte. Dann fuhr sie ein wenig unsicher fort: „Der Geldtransporter muss immer leer sein, wenn er ins Depot gefahren wird. Das ist klar. Wenn aber soviel Verkehr ist, dass keine Bank mehr offen hat, wird es umgeladen und kommt auf die Privatbank von den beiden Firmenchefs. Da bleibt es dann einen oder zwei Tage, oder über Wochenende.“

Else wurde ganz hellhörig, sagte aber scheinbar gelangweilt:“Und weiter, wo ist da das verbotene Geheimnis?“

So ganz genau habe ich das nicht verstanden!“ Claudia wurde etwas unsicher. Dann sprach sie zögernd weiter: „Die Geldsäcke werden umgeladen in Privatwagen. So kann der Panzerwagen leer ins Depot und mit dem Privatwagen fährt dann ein nicht bei Herodot angestellter Fahrer zur Bank. So ist auf den Konten der Firma immer viel Geld und die Firma bekommt Kredite oder so ähnlich.“

Na, ja“, meinte Else,“Kredite müssen aber immer zurückgezahlt werden. Fällt es denn nicht auf, wenn die Säcke oder Kassetten umgeladen werden. In der Stadt ist doch immer irgendwo was los?!“

So doof sind die auch nicht. Die machen das immer am Heldenplatz. Da sind an 2 Seiten hohe Mauern von der Druckerei und an der dritten und vierten Seite sind dichte Hecken und Büsche. Auch in der Mitte am Denkmal sind Bäume und Büsche. Wenn man an der einen Seite steht, sieht man nichts auf der anderen Seite. Es gibt nur eine Einfahrt.“ Claudia hatte sich doch allerhand Einzelheiten gemerkt. Dann fügt sie noch hinzu: „Erzähl das bitte nicht weiter. Eigentlich habe ich versprochen, mit Niemandem darüber zu reden.“

Von mir erfährt das keine Menschenseele, mit wem sollte ich darüber auch sprechen?“ Else glaubte zu diesem Zeitpunkt selber, was sie sagte. Es sollte aber ganz anders kommen.

Übrigens: Bei dem Baumarkt, der gestern oder vorgestern ausgeraubt worden ist, da war die Firma Herodot auch und wollte das Geld holen. Marko war aber nicht dabei. Er hatte eine andere Tour. Hast du gelesen, dass ein Neger dabei war?“

Man sagt nicht Neger, man sagt Afrikaner oder Farbiger. Man sagt ja auch nicht mehr Zigeuner.“ Während Else das sagte, kam ihr plötzlich die Gesichtsmaske in den Sinn, die sie Werner gegeben hatte. Sollte etwa der etwas damit zu tun haben? Dann verwarf sie den Gedanken wieder aber sie nahm sich vor, einmal mit ihm darüber zu sprechen und seine Reaktion zu studieren.

Um eine neue Information nebensächlich erscheinen zu lassen, fragte sie kurz nach: „Na und, war der Afrikaner ganz alleine? Woher weißt du überhaupt davon, in der Zeitung habe ich nichts gelesen.“

Es war gestern Abend in den Regionalnachrichten vom Privatsender.“ Nun hatte auch Claudia keine Lust mehr, irgendetwas zu erzählen.  Mit wenig Überzeugung fügte sie hinzu:“ Ein Reporter von denen hört immer Polizeifunk ab. Er kennt angeblich auch verschiedene Kodewörter.“  Woher sie diese Erkenntnis hatte ließ sie aber im Dunkeln. Else dachte bei sich, dass dort wohl auch einer ihrer Liebhaber zu finden gewesen sein könnte. 

 

 

15. Stremel: Schwer verdientes Geld

Jan sah mit seinem Colani richtig schick aus. Der Seesack auf dem Gepäckträger passte wunderbar in seine Kostümierung. Mit dem E-Bike fuhr er auf dem schmalen Trampelpfad durch die sogenannten Kitzelfichten auf den Fluss zu. Kitzelfichten nannten die jungen Leute das kleine Wäldchen, weil die Liebespaare im Sommer oft dort hingingen um sich gegenseitig zu kitzeln. Daran dachte Jan aber nur einen ganz kurzen Moment. Dann musste er am Poller vor der Brücke aufpassen. Er wollte nicht den gleichen Zusammenstoß wie der Dieter fabrizieren. Werner hatte ihm geraten, immer mit Volllicht zu fahren. Das würde Leute die ihm entgegen kamen blenden. Sie würden ihn dann nicht erkennen können. Außerdem sah er dann den Poller rechtzeitig. Auf der Brücke hielt er ganz kurz an und wollte die Handschuhe von Werner in den Fluss werfen. Es kamen aber vom anderen Ufer zwei Menschen ihm entgegen. Jan legte die Handschuhe auf das Geländer und tat als wolle er sich eine Zigarette anzünden. Als die beiden jungen Frauen vorbei waren gab er den Handschuhen einen Schubs und schon waren sie im Fluss verschwunden. Das gluckernde Wasser am Ufer verschluckte das Geräusch des Aufpralls der Handschuhe auf dem Wasser. Jan wünschte ihnen im Geiste viel Glück bei der Reise in die Nordsee. Die sind schon mal entsorgt, dachte er sich. Dann zog er aus einer Tasche seiner Jacke ein eigenes Paar Handschuhe und zog die nun an. Damit hatte er keine kalten Finger während der Fahrt nach Hause zu befürchten.

Auf der Fahrt durch die Stadt schaute er an beiden Seiten nach Mülleimern. Werner hatte ja geraten, den Rucksack in eine fremde Mülltonne zu entsorgen. Als Jan in die Gegend des Wikingerweges kam, standen dort noch einige geleerte Mülltonnen an der Straße. Heute am Freitag war Müllentsorgung der Restmülltonnen gewesen. Eine gute Gelegenheit, aber er konnte hier nicht einfach anhalten und an einen Mülleimer gehen, den öffnen und einen Rucksack hinein werfen. Dann kam ihm der Gedanke, den Parkplatz vom Kaufhaus Nesso anzusteuern. Dort wäre ja heute dann auch der Container auf dem Parkplatz geleert geworden. Dieser stand weit abseits vom Eingang und es verirrte sich kaum ein Mensch hierhin. Es musste ja immer genügend Platz gelassen werden, damit der Müllwagen so an den Container heranfahren konnte, dass keine Handarbeit beim Aufnehmen erforderlich war. Erleichtert fuhr Jan nach Haus und wollte den Seesack mit dem Geld schon in seinem Schrank verstecken, da fiel im ein, er könne ja das Geld noch einmal wiegen. Dann, so meinte er, könne er so ungefähr schätzen, wie viel der Job eingebracht habe. Er schüttete das Geld in eine Plastiktüte und tat diese auf die Küchenwaage, die noch aus seiner Zeit als glücklicher Ehemann übrig war. Es war zu viel Gewicht. Die Waage konnte nur bis 10 kg anzeigen. Jan teilte den Geldscheinhaufen auf und holte eine zweite Plastiktüte. Nun waren es einmal 5 kg und einmal fast 6 kg. Elf Kilo, dachte Jan, das ist mindestens einhundert Tausend Euro.

Jan grübelte noch eine Weile, was man damit alles anschaffen könnte. Aber die Gedanken kamen und gingen und er konnte keinen klaren Plan fassen. Er kochte sich einen schwarzen Tee und gab dann einen großen Schuss „Erkältungsrum“ hinein. Die Gedanken purzelten aber weiter in seinen Kopf, so dass er schließlich einfach zu Bett ging. Morgen würden Dieter und Werner kommen. Dann könnte man ausgiebig zählen und planen.

 

Am nächsten Morgen hatte Jan grade geduscht, da kam Dieter an die Tür. Jan zog schnell Unterhose und Jeans an und machte auf. Wie immer vermied Dieter jede Formalität von wegen Guten Morgen, gut geschlafen oder Ähnliches. Statt dessen platzte es aus ihm heraus: „Na, wie viel war es?“

Guten Morgen Dieter. Wie geht es dir. Darf ich mir erst ein Hemd anziehen und mich kämmen?“

Ja, kannst du“, sagte Dieter gnädig, „wie viel Geld war es denn? Du hast es doch sicher schon gezählt.“

Gezählt habe ich es nicht, aber ich weiß, wie viel es ist!“ Jan grinste dabei verschmitzt.

Dieter blieb der Mund offen. „Wie, wie wie viel es ist?“

Ja, es sind ziemlich 11 Kilo.“ Dieter sagte nichts und fragte auch nicht weiter. Er fühlte sich ein wenig auf den Arm genommen. Um die Sache nicht weiter zu eskalieren meine Jan: „Ich schätze bei dem Gewicht müssen es mindestens Hunderttausend sein.“

Dieter sagte eine ganze Weile gar nichts. Dann kam wie ein Stoßgebet aus ihm heraus: „Wir kaufen ein Auto!“

Wollen wir nicht warten, bis wir alles genau gezählt haben? Ich habe mir gedacht, wir teilen den Haufen Scheine in 3 Portionen und jeder zählt eine. Also müssen wir noch warten, bis Werner kommt.“

Es klingelte an der Wohnungstür. „Das wird er sein.“ Aber da irrte Jan, es waren 2 Damen von den Zeugen Jehovas.

Guten Morgen,“ begann die ältere der beiden, „wir möchten mit Ihnen über Gott sprechen.“

Gut, wenn Sie ihn kennen, grüßen Sie ihn von mir.“ Jan sagte das so dahin ohne Spott oder Häme, weil er auf Werner wartete. Er wollte die Damen vor der Wohnungstür abfertigen. Vielleicht hatte er auch nicht bewusst mitbekommen, über wen die Frauen sprechen wollten.

Für den Herrn sollte man sich aber mehr Zeit nehmen!“ Die ältere Dame wollte nicht locker lassen. „Es werden nur wenige in Jehovas Königreich kommen. Man muss etwas dafür tun und die Botschaft hören wollen.“

Wenn Sie das sagen, dann kommen wohl nur die Zeugen Jehovas in das Königreich. Für uns bleibt dann sowieso kein Platz. Also was soll´s ? Ich erwarte übrigens Besuch und es wäre mir sehr lieb, wenn Sie jetzt die Tür freigeben würden.“ Jan bemühte sich um Höflichkeit aber wollte auch genau verstanden werden. So einfach war es aber nicht.

Ich lasse Ihnen jetzt diese interessante Schrift da und bitte lesen Sie ab und zu darin. Vielleicht können wir uns einmal länger unterhalten. Ich werde für Sie beten.“

Jan wollte nicht ganz unfreundlich sein. Seine Antwort schien die Dame aber zu beleidigen. Er sagte: „Ja beten Sie für mich, und wenn es nichts kostet dann auch mehrmals.“

Während Jan dachte, dass er wohl Gebete gebrauchen könne bei seinem jetzigen Lebenswandel meinte die Dame, er wolle sie verspotten. Die beiden Frauen kehrten um und redeten leise miteinander auf dem Weg zum nächsten Opfer.

Jan ging zurück in die Wohnung, wo Dieter seine Ungeduld kaum verbergen konnte: „Können wir nicht schon anfangen zu zählen? Ich bin schon sehr neugierig.“

Nein, wir warten bis Werner kommt. Schließlich war es sein Plan und da kann er wohl verlangen, dass er von Anfang an beim Zählen dabei ist. Irgendwann wird er ja wohl kommen. Vielleicht gibt er ja die Maske erst einmal ab.“

Da hatte Jan nicht ganz Unrecht.

Werner war tatsächlich wieder zum Theater geschlendert, am Kiosk vor bei und schaute interessiert in die Tageszeitungen. Er suchte nach „Raubüberfall“ oder eine andere eindeutige Schlagzeile. Er konnte keine finden, denn es war ja erst gestern gewesen und die Zeitung für heute war sicher schon im Druck gewesen. Dann ging er beruhigt weiter und bedankte sich noch einmal bei Else, als er die Maske wieder geben wollte. Else wollte sie aber nicht haben.

Nee, die kannst du behalten. Du hast ja deinen Anteil an der Sitzung für Schminke und so gegeben. Hat es denn funktioniert?“

Bestens“, bestätigte Werner, „wirklich aller bestens. Mein Freund bekam sogar Angst vor mir. Ich musste laut lachen. Er dachte, ich wolle ihm sein Fahrrad klauen.“

Schön, und was machst du heute? Oder was macht ihr heute? Wie lange kennst du denn den Freund schon?“

Werner wollte auch nicht zu viel verraten. Deshalb redete er über Dieter. „Wir wohnen beide im Altersheim. Leider werde ich wohl bald allein da wohnen. Er hat Post von seinem Sohn aus Argentinien. Der zahlt ihm eine Wohnung in der Stadt. Dann muss ich dich wohl öfter besuchen, Else.“

Du weißt ja, du bist immer willkommen.“

Ich komme immer gerne zu dir, das weißt du doch. Morgen will erst einmal mit dem Kollegen zu seiner neuen Wohnung im Wikingerweg. Da kann er mich ja ein wenig neidisch machen. Ich habe keinen Sohn in Argentinien. Wie wäre es, wenn ich dich mal für Sonntag zum Essen beim Hähnchenwirt einladen würde?“

Else lächelte: „Da bin ich ja richtig geschmeichelt. In meinem Alter läd` mich noch jemand zum Essen ein. Kannst du dir das denn leisten?“

Ich denke schon. Ein Ereignis mit dem Kollegen hat einiges geändert.“ Werner dachte bei sich: Das ist die reine Wahrheit. Sie glaubt sicher, dass ich von Dieter Geld bekomme für den Umzug oder irgend etwas in der Richtung. 

Werner verabschiedete sich und ging zurück. Als er am Kiosk vorbeikam nahm er sich fest vor, am kommenden Tag eine Tageszeitung, den Stadtanzeiger, zu kaufen. Dort müsste dann ja etwas von der Sache am Baumarkt beschrieben worden sein.

 

14. Stremel: Die Sprache des Menschen

Die Sprache ist dem Menschen gegeben, um seine Gedanken zu verbergen. Das hat ein französischer Politiker einmal gesagt und die Leute streiten sich, wann und wo das war. Bei Werner geschah es, als er auf dem Weg zum großen Coup unterwegs war.

Der nächste Morgen im Altenheim fing ebenso langweilig für gewisse Bewohner an, wie jeder andere Morgen angefangen war: Wecken, Waschen, was essen. Www. So war das. Für die Pfleger und das andere Personal war es zwar auch Routine, aber nie langweilig. Einige Bewohner machten immer wieder Schwierigkeiten, andere waren stumpf und dement und wieder andere waren trotz Alter und einiger Behinderungen immer noch unternehmungslustig. Auch Werner war an diesem Tag unternehmungslustig. Wollte er doch wieder einmal ins Aladin Theater zu seiner Freundin Else. Er wollte einen Privatauftrag loswerden. Else sollte ihn so schminken, dass nicht einmal sein bester Freund ihn wieder erkennen würde. Ob ihr das gelänge, ob sie überhaupt Zeit hätte, ob er noch Material kaufen müsste, das alles wollte Werner erfragen. Er musste nach dem Frühstück nur noch ein wenig spazieren gehen. Dann würde er um 9 Uhr bei Fritz, dem Pförtner nachfragen, ob Else in ihrem Raum Maske mache.

Es war ein schöner Tag, nicht besonders heiß, aber trocken und mit wenig Luftbewegung.

Zunächst aber musste er mit Else einen Termin abmachen und so machte er sich auf am Kiosk vorbei zum Aladin. Er blieb stehen und sah sich die Schlagzeilen an. Danach meinte er, über die Weltlage ausreichend Bescheid zu wissen.  Das alles ging ihm durch den Kopf beim Blick auf die ausgehängten Zeitungen. Eine Zeitung wollte er sich nicht kaufen, so neugierig war er nun auch wieder nicht. Und außerdem tat ihm es ihm leid um jeden Baum der wegen des Papiers gefällt wurde. Schließlich schlenderte er gemütlich in Richtung Theater.

 

***

Wir überschlagen jetzt einmal zwei ereignislose Tage und beginnen mit dem Nachmittag des Freitags in dieser Woche. Jan wartete schon fix und fertig mit dem E-Bike, dass er im Flur abgestellt hatte. Der Akku war aufgeladen und Jan ging in seine Wohnung und schaute aus dem Fenster. Werner wollte ja heute kommen und dann sollte der Job im Baumarkt starten. Werner hatte gemeint, Freitags würden besonders viele Kunden Geld dort lassen, weil am Wochenende jede Menge Leute irgendwo zu Hause basteln oder Schwarzarbeit erledigen würden. Während er so in Gedanken auf den Gehweg starrte, kam ein Schwarzafrikaner an seinen Hauseingang und klingelte an seiner Wohnung. Jan schreckte aus seinen Gedanken auf. Ein Zeuge Jehovas sicherlich, dachte er, ich muss sehen, wie ich ihn loswerde, damit er Werner nicht sieht, wenn der inzwischen endlich kommt. Jan drückte den Knopf um  die Haustür zu öffnen und trat vor seine Wohnung. Der Afrikaner kam in den Flur und sagte kein Wort. Er kam die fünf Stufen zu Jans Wohnungstür hoch und schaute auf das E-Bike. Dann fragte er zu Jan gewandt: „Djambo, Bwana Jan, ich diese Rad kaufen?“

Jan erschrak. Wieso hatte der Mann Handschuhe an. So kalt war es doch noch nicht. Oder wollte er das Bike kaufen und gleich damit wegfahren, ohne Fingerabdrücke zu hinterlassen? Hatte er etwa vor, es zu stehlen und keine Spuren zu verbreiten? Wollte er Jan vielleicht einfach umbringen und dann wegfahren? Woher kannte der seinen Namen. Jans Gedanken überhitzten und erst nach einer Minute sagte sein Gehirn zu ihm: Irgendwie kommt dir die Stimme doch bekannt vor.

Plötzlich fing der schwarze Mann zu lachen an: „Mensch Jan, wenn du mich nicht erkennst, dann hat Else aber ganze Arbeit geleistet.“ Wie eine Epiphanie kam Jan die Erkenntnis: Es war Werner, der als Afrikaner verkleidet war. Er hatte einfach eine Kopfmaske als indigener Schwarzafrikaner über gezogen bekommen und die Handschuhe sollten seine weißen Hände verbergen. Jan wollte seine Hand ausstrecken und das Gesicht befühlen, doch Werner wehrte ab. „Nee, das lass mal lieber, weil Else sich solche Mühe gegeben hat und schließlich haben wir das ja nicht getan, damit ich dich verblüffen kann. Die Maske ist unsere Tarnkappe. Nun fahr mal mit dem Bike los, ich nehme von der nächsten Haltestelle in der Budapester Allee den Bus. Sei pünktlich ab halb fünf in den Büschen neben dem Weg. Damit du mich erkennst pfeife ich die Melodie von Lilli Marleen. Das kennen die jungen Leute heute nicht mehr und es wird kaum ein zweiter grade heute und grade dort das alte Lied pfeifen.“

OK, aber weiß der Dieter denn, wie du aussiehst?“

Werner lächelte verschmitzt: „Der weiß Bescheid. Er wollte unbedingt schon vorgehen und sich ein Versteck an der Rückfront des Baumarktes suchen. Ich hab dir noch einen alten Blazer aus dem Fundus mitgebracht. Der sollte ausgemustert werden, weil er schon so schäbig und abgerissen aussieht. Das passt aber gut für dich und den Seesack, mit dem du dann hoffentlich viel Geld nach Hause bringst.“

Jan setzte wieder seine Bedenken-Miene auf: „Mensch Werner, ob das alles richtig ist, was wir hier machen? Weiß deine Else überhaupt, was wir mit der Verkleidung wollen?“

Du mit deinen Bedenken.  Else weiß natürlich nichts. Ich glaube sie würde das dann nicht machen; aber unser Ziel war, lange genug im Knast zu bleiben, damit wir keine Sorgen mehr mit Geld haben werden und trotzdem warm und trocken wohnen mit täglichen Mahlzeiten. Haben wir das Ziel erreicht? Nein, also machen wir weiter!“ Bei diesen Worten holte Werner aus dem mitgebrachten Seesack einen Colani aus bestem Wollstoff mit goldfarbenen Knöpfen. Auf jedem metallenen Knopf war ein Anker zu erkennen. Allerdings bei näherem Hinsehen sah man schon einige abgeschabte Stellen an den Ärmelenden. Auch auf dem einen oder anderen Knopf befanden sich kleine Grünspanpickel wie sie oft auf ungepflegtem Messing zu sehen sind.  „Damit wirst du auf dem Bike auch nicht frieren“ fügte Werner seinen Ausführungen hinzu.

Als Jan sich angekleidet hatte lud er Werner noch zu einem schnellen Daumenbreit Wodka ein. „So ein edles Jackett habe ich nie besessen. Darauf steht aber jetzt ein Daumenbreit.“ Werner stimmte auch zu, aber wollte hinterher ausreichend Wasser trinken. Jan wollte mit dem Alkohol sein Verdauungsproblem kompensieren. Es trat immer dann auf, wenn er Aufregungen oder plötzlichen Ereignissen ausgesetzt war. Schließlich machte er sich mit dem Fahrrad auf den Weg zum Baumarkt. Werner ging die kleine Strecke zur nächsten Bushaltestelle und konnte zufällig gleich einsteigen, denn der Bus kam zu gleichen Zeit an die Haltestelle in der Budapester Allee wie er selbst auch.

Nachdem er eine Fahrkarte bezahlt hatte, setzte er sich in eine leere Sitzreihe und sah weitere Leute einsteigen. Eine Frau im kanonischen Alter setzte sich hinter Jan und lamentierte zu ihrem Begleiter: „Nun sitzen bei uns schon Afrikaner in den Bussen. Neulich hab` ich sogar eine Frau gesehen im Kramladen bei Petscher. Wo kommen die alle her und was machen die hier bei uns.“

Ihr Begleiter murmelte so etwas wie: „Nu lass mal gut sein…“ Werner drehte sich um und sah die Frau an. Dann meinte er mit original Brandenburger Dialekt: „Pass ma uff, wat de saachst, von wejen Afrikana. Icke bin Berlina und jehe eine ehrliche Beschäftijunk nach. Wenn de Rente kriechst, denn lebste wahrscheinlich jut von meine Steuern, die ick immer abjezojen krieje. Also pass uff, dat de dir nich an mir klemmen tust! Meene Linke riecht nach Klinik, meene Rechte nach Friedhof, wa…“

Die unmittelbaren Sitznachbarn im Bus schauten alle herüber oder drehten sich um, wenn sie vor der Szene saßen. Das war der Frau richtig peinlich und ihrem Begleiter noch viel mehr. Einmischen wollte sich aber anscheinend keiner. An der nächsten Haltestelle stieg die Frau jedoch aus, nachdem sie ihren Mann davon überzeugt hatte, dass das nun besser für beide sei.

Am Baumarkt angekommen ging Werner zunächst auf die öffentliche Toilette und schaute nach, ob dort ein Mensch als Aufpasser und Kassierer beschäftigt war. Es gab keinen, der Nutzer der Toilette wurde per Automat abkassiert, jedenfalls soweit es der Besuch einer Kabine betraf. Hände waschen war um sonst. Das war wichtig zu wissen, denn hier wollte Werner sich nach getaner Arbeit abschminken, bzw. demaskieren.

Nachdem er noch einmal auf die Uhr geschaut hatte, ging er forsch in den Baumarkt und nun ging alles wie geplant. Beim der Forderung nach Geld machte er aber einen französischen Dialekt nach. In seinem gebrochenen Deutsch flocht er hin und wieder französische Brocken wie: „Je suis presse“ oder „depechez vous!“ Gerne wieder holte er auch: „Dans le sac a dos“ oder machen Sie schnell. „Mais faites vite!“ Dazwischen machte der Dieter von Außen tatsächlich mit seinem Laserpointer die richtigen Bewegungen. Er zielte zwar wahllos in die beiden Fenster, aber wenn man im Kopf den Gedanken an ein Zielfernrohr hat, dann sieht das alles nicht mehr so harmlos aus.

Als alle Scheine aus dem Tresor in den Rucksack gestopft waren, verabschiedete sich Werner stilgerecht mit: „Avec Dieu!“  – Dann ging er als Afrikaner aus dem Markt und verschwand wenig beachtet in den Büschen wo der Weg an den Fluss begann. Er suchte eine Platz, wo man ihn weder vom Parkplatz noch vom Weg her sehen konnte und pfiff dann deutlich die vereinbarte Melodie. Sekunden später trat Jan in seinem Colani aus den Büschen und beide packten hastig die Geldscheine vom Rucksack in den Seesack. Dort passte aber noch mehr rein und so fragte Jan provokant: „Ist das alles, das sind ja höchstens 20 Pfund?“ Werner grinste: „Aber alles Scheine! Ich denke, es ist etwas mehr als bei deinem Abenteuer.

Hier, nimm noch meine Handschuhe,  packe in jeden einen Stein und wirf sie bei der Brücke in den Fluss! Mein Weg geht jetzt ins Klo, wo ich mich abschminke. Viel Glück bei der Heimfahrt und morgen kommen Dieter und ich  zählen.

 

13. Stremel: Gute Geschäfte

 

Es soll hier keine Anleitung zu Überfällen auf Baumärkte beschrieben werden. Solche Beschreibungen in der Literatur haben mit der Wirklichkeit meistens auch nichts oder nicht viel zu tun. Nachdem also alle drei wieder eine Nacht geschlafen hatten kam der nächste Morgen. Eigentlich waren es ja vier, wenn man das elektrische Rad mitrechnet. Aber das stand bei Jan im Keller und Jan war gerade beim Frühstück, als Dieter Sturm bei ihm klingelte: „Mensch Jan, stell dir vor: ich werde ausziehen aus dem Altenheim.“ Auf besondere Begrüßungsrituale legte Dieter ohnehin nicht viel Wert.

Verdattert stotterte Jan: „Wieso ausziehen? Hast du dich etwas daneben benommen? Bist du besoffen nach Haus gekommen gestern? Wen hast du denn noch getroffen?“

Nee, stell dir vor: Mein Sohn hat eine super bezahlte Stelle bei einem Viehbetrieb in Argentinien bekommen! Als Verwalter.“

Na, das freut mich aber auch. Was hat das mit dem Auszug aus dem Heim zu tun?“ So konnte Jan damit nichts anfangen.

Allmählich beruhigte sich Dieter. Hatte er doch nun jemand gefunden, dem er alles erzählen konnte.

Als Verwalter bekommt mein Sohn, der „Edoardo“ wie die Argentinier sagen, einen Anteil am jährlichen Schlachtauftrieb. Das ist in den vergangenen Jahren immer in die Hunderttausende von Dollars gegangen. Jetzt möchte er, dass ich eine Wohnung im Wikinger Weg bekomme. Dort ist eine Zelle betreutes Wohnen frei geworden. Er zahlt die Miete und ich kann meine ganze Rente behalten. Stell die vor: Wohnküche, Schlafzimmer und Bad. Welch ein Luxus.“

Wieso nennst du das denn auch Zelle? Hast du dir das schon angeschaut?“

Nein, das ist die Gewohnheit vom Altersheim. Aber ich wollte dich fragen: Kann ich das Rad haben und dort mal hinfahren?“

Natürlich, es gehört ja auch dir. Fall aber bitte nicht wieder hin. Wie geht es deinem Arm?“ Ein wenig Sorge schwang bei dieser Frage mit. Hoffentlich fährt er vernünftig, dachte Jan. Dann fragte er noch: „Möchtest du ein Brötchen mit essen? Gestern habe ich mir vier Stück gekauft?“

Dieter beschwichtigte: „Als ich gestern die Post gelesen hatte, waren die Schmerzen wie weggeblasen, glaub es mir. Die Nachricht hat mich mit einem Schlag gesund gemacht! Kein Brötchen, nein Danke. Bei uns im Heim gibt es immer um halb acht Frühstück. “

Irgendwie freute sich Jan auch über diese Nachricht aus Argentinien. Er konnte gar nicht einmal sagen wieso. Aber schließlich kannten die beiden sich schon sehr lange. Sie holten beide das Rad aus dem Keller und Dieter radelte los.

Als Dieter weg war wollte Jan ein wenig seine Wohnung aufräumen und Wäsche im Keller in die Gemeinschaftswaschmaschine füllen und seine Klamotten auch auf Vordermann bringen. Am Nachmittag sollte dann die Diskussion über den neuen Baumarktjob losgehen. Während Jan seine Hausarbeiten erledigte dachte er über einige Sachen nach. Wenn der ganze Parkplatz voller Zeugen war, wie wollten sie dann unerkannt entkommen? Vielleicht machte auch grade jemand mit einem Mobiltelefon Bilder, auf denen sie gemeinsam oder einzeln zu sehen waren. Wenn es wirklich viel Geld zu erbeuten gäbe, wie wollten sie das dann transportieren. Schließlich war es Zeit, ein Mittagsmahl zu essen. Jan fand eine Dose Fertiggericht im Supermarkt für 4 Euro. Deftiger Grünkohl mit Kohlwurst und Speck versprach das Etikett. Zur Feier des Tages wollte Jan heute sein Mittag von einem Teller essen. Auch sein Kochtopf würde heute mal Arbeit bekommen, wenn dieser sein „karges Mahl“ erwärmte. Er wollte endlich mal wieder nach „mitteleuropäischem Standard“ essen. So nannte er es, wenn es alles „wie früher einmal“ aussehen würde. Beim Essen dachte er darüber nach, was er wohl alles in die Debatte werfen könnte, wenn es um den neuen kriminellen Job ginge. Dabei stellte er sich auch immer wieder die Frage, ob es nicht einen anderen Weg aus der Misere gäbe. Es fiel ihm leider keiner ein.

Es klingelte an der Tür und durchs Fenster sah er, wie der Briefträger wieder zu seinem Auto zurück ging. Er hatte wohl etwas in den Briefkasten geworfen. Na, ja, dachte Jan, auch wenn es nur Reklame ist, ein wenig Ablenkung kann nicht schaden.

Zunächst aber wollte er in seiner Wohnung „klar Schiff zum Gefecht“ machen. Er wusch sein Geschirr ab, stellte alles wieder zurück in den Schrank. Auch den Kochtopf musste er heute ein Warmwasserbad gönnen. Dann saugte er ein wenig in der Wohnstube herum und wischte sogar den Fußboden im Bad.

Schließlich holte er einen Prospekt für einen „schönen Urlaub in den Bergen“ aus dem Briefkasten. Dass der Postbote extra für dieses Stück Papier sein Auto anhalten und zum Briefkasten laufen musste… Darüber durfte er nicht weiter nachdenken. Es erschien ihm einfach zu teuer. Das Papier würde sowieso in der Papiertonne landen und sehr viele Leute würden es wohl kaum ansehen. Wieder und wieder würden die Papierfabriken Bäume fällen für nichts und wieder nichts. Er durfte nicht darüber nachdenken.

Nach eine Weile tauchte Werner an der Tür auf und Jan beendete seine Grübeleien.

Buon giorno!“ Werner ließ wieder seine Sprachkenntnisse aufblitzen.

Was heißt das denn nun wieder? Moin, erst mal.“

Na, das sag ich doch. Nur eben auf Italienisch. Ist der Dieter noch nicht da?“

Jan schüttelte besorgt den Kopf. „Er hat heute das Fahrrad geholt und wollte seine neuen Bleibe mal erkunden. Hast Du gehört, dass er bald bei euch ausziehen will, oder darf?“

Werner nickte. Er machte einen leicht melancholischen Eindruck: „Dann bin ich der einzige Heimbewohner von uns. Das muntert mich nicht besonders auf.“

Jan versuchte ihn zu trösten: „Ich habe heute meine Wohnung gefechtsklar gemacht. Das habt ihr beide ja nicht nötig. Ihr bekommt diese Dienstleistungen vom Heim. Das ist auch ein Vorteil, oder?“

Also wirklich! Du hast ja immer eine sturmfreie Bude gehabt. Du weißt doch gar nicht, was man vermisst. Außerdem darf Dieter dann seine ganze Rente behalten. Stell dir das doch mal vor.“ Werner klang richtig traurig, nicht mehr besonders selbstbewusst.

Jan wollte grade entgegnen, dass im von seinem Geld am Monatsende auch nicht viel mehr bleiben würde als den beiden Heiminsassen da klingelte Dieter an der Tür. Jan ging sofort hinaus, um ihm zu helfen, aber auch um einige verstohlene Blicke auf das Rad zu werfen. Hatte Dieter diesmal aufgepasst? Gab es Schrammen oder Beulen am Gerät? Es schien wirklich alles in Ordnung.

Dieter sagte weder Moin noch guten Tag. Schon gar nicht Buenos Dias oder buon giorno. Er sprudelte gleich los: „Ich bin vom Wikinger Weg gleich noch einmal zum Baumarkt gefahren. Stellt euch vor, grade war der Geldtransporter dort und hat 2 dicke Säcke abgeholt.“

Wann war das, hast du auf die Uhr gesehen?“ Werner war sofort wieder auf Betriebstemperatur.

Dieter hatte wieder einmal mitgedacht: „Er war genau zwanzig nach elf heute Vormittag. Außerdem habe ich mir noch einmal den Platz angesehen. Auch dort wo ich gestern…“, da fiel ihm ein, dass es ja nicht jeder wissen musste, wie er gestürzt war, „äh, wo ich gestern auch schon einmal war. An der Brücke über den Fluss.“

Dieter und Jan sahen sich an. Werner hatte das sofort bemerkt und fragte rund heraus: „Nun, was darf ich denn nicht wissen?“ Dabei schaute er Jan an. Der sagte aber einfach zu Dieter: „Erzähl du mal, ich habe es ja nicht miterlebt.“

Nun erzählte Dieter wie er gestern gegen einen Betonpfeiler gefahren sei. Dem Rad sei aber nichts passiert und nun wüssten sie wohl, dass dort ein Fluchtweg mit Busanbindung zu finden sei.

Auf meinem Stadtplan habe ich die Brücke und den Fluss auch gesehen“, meinte Werner, „und dann die Straße natürlich. Die Bushaltestelle konnte ich aber nicht erkennen.“

Jan erinnerte sich wieder an sein Vorhaben, Fragen zu stellen: „ Wie sollen wir, oder wenigsten einer von uns dort hinein marschieren, ohne gesehen zu werden. Habt ihr euch darüber schon mal Gedanken gemacht?“

Einen Plan habe ich schon ausgearbeitet. Das hat fast den ganzen Morgen gedauert. Es würde vielleicht so gehen: Einer geht rein und holt das Geld. Das könnte ich diesmal übernehmen. Das Geld tun wir in einen Rucksack. Mit dem Rucksack gehe ich dann in die Büsche am Fluss und übergebe ihn Jan. Der verstaut den Rucksack in einen Seesack und fährt dann mit dem E-Bike unerkannt zurück in die Stadt, den Seesack auf dem Gepäckträger.“

Aber wie sollen wir unerkannt hin und wieder wegkommen?“

Auch daran habe ich gedacht. Ich kenne eine Maskenbildnerin, die wahre Wunder vollbringen kann. Die bitte ich, dass sie mich und Jan einmal so schminkt, dass keiner uns wieder erkennt. Aber lass mich erst einmal zu Ende erzählen. Wenn Jan mit dem Seesack in die Stadt fährt, gehe ich zum Bus an der Straße und Dieter fährt mit dem Bus vom Parkplatz. So werden wir nicht zusammen gesehen. Dieter muss sich einen kleinen Laserpointer besorgen, damit ich eine Story erzählen kann.“

Jan und Dieter schauten sich verständnislos an: „Mich interessiert ja mehr, wie du erst einmal an das Geld kommen willst.“ Dieter wusste gar nicht mehr, was eigentlich das alles sollte. Man musste doch erst einmal wissen, wie man ungesehen in den Markt käme und dann an das Geld.

Werner erzählte seinen Plan von vorne: „Also Dieter und ich fahren gemeinsam mit dem Bus auf den Parkplatz. Wir sitzen nicht zusammen und steigen auch nicht zusammen ein. Um halb fünf bin ich im Büro und verlange Geld. Dieter muss mit dem Laserpointer auf die Bürofenster zielen. Dazu erzähle ich dem Chef des Marktes, dass mein Kollege draußen mit dem Zielfernrohr auf ihn schießt, wenn er kein Geld gibt oder die Polizei ruft. Dann gehe ich mit dem Geld zu Jan in den Büschen und wir verstauen den Rucksack in den Seesack. Jan fährt los und ich schminke mich ab. Inzwischen steigt Dieter am Parkplatz in den Bus und weg sind wir. Wenn ich abgeschminkt bin, fahre ich von der Straße am Fluss auch in die Stadt. Am nächsten Vormittag gehen wir zu Jan und zählen das Geld.“

Woher weißt Du denn wo die Bürofenster sind.“ Jan konnte sich nicht verkneifen, danach zu fragen. Er hatte so viel Mühe, die Tür zu finden und Werner sagte einfach so.

Wenn man von der Rückseite auf das Gebäude sieht, dann ist das Büro ganz links. Das kann man auf dem Plan des Baumarktes erkennen, den ich aus dem Internet geladen habe. Es sind drei Fenster im Büro und Dieter muss nur tüchtig mit dem Laser fuchteln, dann funktioniert es schon.“

Aber sieht man mich nicht, wenn ich mit dem Ding da ganz allein auf der Rückseite herum laufe?“ Dieter war nicht überzeugt.

Dort ist es genau so bewachsen wie am Flussufer. Es ist ein ungefähr zehn Meter breiter Parkstreifen, den dein Laser aber leicht überbrücken sollte. Wenn du um sechzehn Uhr fünfundvierzig durch die Büsche wegschleichst, dann sollte ich alles erledigt haben. Denk dran: Nichts verlieren und möglichst keine Spuren im weichen Boden machen. Kauf die Gummistiefel, die du unterwegs in eine Mülltonne werfen solltest. Nicht im Altersheim. Auch den Seesack und den Rucksack müssen wir nach getaner Arbeit entsorgen. Auf keinen Fall in der heimischen Mülltonne.“

Und wann geht es los?“ Das wollte Jan noch wissen. Die Antwort kam etwas unsicher von Werner: „Ich muss die Else fragen, wann sie Zeit genug hat, uns zu schminken.“

Jan gab sich damit zufrieden und nach einem daumenbreit Wodka wurde es merklich still in der Stube. Jeder hing seinen Gedanken nach.

 

12. Stremel: Im Baumarkt angeben.

Der freundliche Händler teilte Jan mit, dass er auch noch Agent der Versicherung für das motorisierte Fahrrad sei. Er würde das Nummernschild sofort montieren, wenn Jan noch die 70 Euro Jahresprämie bezahlen würde. Soviel Geld hatte Jan nicht mehr bei sich. Daher meinte er höflich: „Meine anderen Lieferanten schicken mir eine Rechnung und ziehen das Geld vom Konto ein. Geht das auch bei Ihnen?“

Der Händler zögerte einen Augenblick und musterte Jan noch einmal von unten bis oben. Dann sagte er gedehnt: „Nun, das könnte ich auch machen. Dazu müssen Sie mir aber noch eine Einzugsgenehmigung auf Ihr Konto geben.“

Das konnte Jan sich erlauben. Wenn es ganz knapp auf seinem Konto zugehen sollte, konnte er immer noch von seinem Anteil am letzten „Geschäft“ leben. Nachdem auch dieser Punkt geregelt war konnte die beiden sich endlich auf den Weg machen. Jan begleitete Dieter bis zum Bus. Als der in Richtung Baumarkt eingestiegen war, setzte Jan den Helm auf und machte sich mit dem neuen Gefährt vertraut. Zunächst fuhr er nicht die volle Geschwindigkeit. Je mehr aber er mit den einzelnen Bedienelementen umgehen konnte, desto mutiger wurde seine Fahrweise. Bremse vorne mit der linken Hand und Bremse hinten mit der rechten Hand. Auch den Gasgriff konnte man mit der rechten Hand drehen. Eigentlich gab er ja kein Gas im üblichen Sinne sondern regelte mit einem Potentiometer die Stromzufuhr für den Elektromotor. Der Verkäufer hatte noch darauf hingewiesen, dass es ein bürstenloser Motor sei. Jan konnte sich etwas darunter vorstellen. Der Motor hatte Dauermagnete und war somit wartungsfrei. Bei der gegenwärtigen Finanzlage der drei war das keineswegs unerheblich. Der Verkäufer hatte noch darauf hingewiesen, dass man den Akku doch bitte nicht ganz leer fahren möge und auch nicht unbedingt ganz voll laden möge. Damit könne man die Lebensdauer erheblich steigern.

Als Jan den Parkplatz vor dem Markt erreichte, zeigte der Tacho noch eine Restladung für 20 Km an. An der Bushaltestelle sah er Dieter und meinte anerkennend: „Das Ding läuft wie Schmitz Katze. Ich könnte mich damit anfreunden. Willst Du nicht doch lieber draußen bleiben und üben. Dann kannst du gleich die Umgebung abklappern und passt auf das E-Bike auf.“

Die Idee ist gut. Dann schlagen wir 2 Fliegen mit einer Klappe.“ Dieter schien richtig begeistert.

Jan musste etwas dämpfen: „ Du musst aber aufpassen, dass der Tacho mindestens noch 10 km Reichweite anzeigt. Sonst kommen wir nicht mehr nach Hause.“ Dann zeigte er Dieter noch einmal alles, was auch schon beim Kauf demonstriert worden war: Den Schlüssel für die Stromzufuhr, die Bremsen, den Beschleunigungsgriff und auch das Schloss aus Stahlseil. Damit sollte Dieter das Rad an einen Fahrradständer anschließen, wenn er einmal zu Fuß die nähere Umgebung anschauen würde. Jan gab Dieter den Helm, denn sie besaßen nur den einen. Dann ging er auf den Eingang des Baumarktes zu  und schließlich auch hinein.

Für die kleine Stadt war dies ein riesiger Markt. Alle Dörfer und Kleinstädte aus dem Umland rekrutierten Kunden für den Markt. Jan sah viele Männer, aber auch einzelne Frauen, welche anscheinend genau wussten, was sie für ihr Heim brauchten. Die Zeiten ändern sich, dachte Jan. Vor 30 Jahren gab es Frauen fast nur in Begleitung vom Männern. Heute gehören sie selbstverständlich zum Bild einer kritischen Kundschaft im Baumarkt. Da sieht man einige mit prüfenden Handgriffen ein Werkzeug ausprobieren, andere schätzen die Qualität von Laminat ein, wieder andere prüfen in der Sanitärabteilung die Armaturen von Bad oder Dusche. Kein Mann wundert sich heute mehr darüber. Sinnen stand Jan vor der Abteilung Gartenpumpe und Rasenmäher. Wie schön wäre es, ein eigenes Haus zu haben. Einen kleinen Garten, vielleicht mit einem Pool oder einem kleinen Teich….

Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“ Irgendwie erschrak Jan, als er in das Gesicht einer freundlichen Fachverkäuferin blickte.

Jaaa“, sagte er sehr gedehnt,“ ich suche ein Filterrohr für einen Gartenbrunnen.“ Das half ihm aus der Verlegenheit. Es war das Einzige, was ihm auf die Schnelle einfiel, um die Dame in Verlegenheit zu bringen. Doch das klappte nicht.

Kommen Sie bitte mit“ freundlich, aber bestimmt ging die junge Frau voraus. In einer kleinen Nische zwischen zwei Regalen mit Hauswasserwerken und Tauchpumpen für Rohrbrunnen standen tatsächlich Filterrohre. Sie waren alle ein- ein viertel Zoll stark. Aber es gab zwei Ausführungen: Einmal mit Messinggaze als Filterelement und einmal in Plastik mit länglichen Schlitzen.

Ich kaufe für einen Freund ein, da muss ich tatsächlich einmal nachfragen, ob er Messing oder Plastik vorziehen würde.“ Jan unterhielt sich gerne mit der Dame, die auch prompt Erklärungen hervorsprudelte:

Das PVC Rohr ist wohl eine wenig preiswerter, aber der Messingfilter ist innen liegend und daher weniger empfindlich gegen grobes Gestein oder andere im Boden liegenden Gegenstände. Es ist ja unglaublich, auf welche Sachen manche Brunnenbohrer schon gestoßen sind. Es sind schon Schätze dabei im Boden gefunden worden.“

Die Frau schien in ihrem Element zu sein. Eine Vollblutverkäuferin: „Ein Kunde erzähle uns einmal, er sein in drei Meter Tiefe auf einen hohl klingenden Körper gestoßen. Dann habe er extra einen Bagger geliehen, um nach zu graben und eine Kiste mit Weltkriegsmunition gefunden. Damit die Bundeswehr aber nicht seinen ganzen Garten um wühlen würde, habe er die Kiste heimlich in einen Schrottcontainer auf eine Baustelle bei Nacht und Nebel entsorgt. Ich erklärte ihm, das das ungesetzlich sein und seither ist er nie wieder hier gesehen worden.“

Jan dachte daran, dass er die nette Frau wahrscheinlich auch nie wieder sehen würde und seufzte ein wenig. Dann sagte er: „Da werde ich meinen Freund drauf aufmerksam machen, aber so oft wird das ja nicht vorkommen, oder?“

Hin und wieder wird schon mal was im Erdreich gefunden, aber nicht so spektakulär. Möchten Sie sich noch Spüllanzen und Erdbohrer anschauen? Dann können sie ihrem Freund auch darüber erzählen.“

Irgendwie hätte Jan noch gerne weiter geplaudert, aber er musste ja herausbekommen, wo das Büro war. An die Verkäuferin gewandt meinte er: „Ich komme bestimmt noch einmal wieder. Dann werde ich“, er machte eine Pause und versuchte das Namensschild der Dame zu lesen, „nach Ihnen fragen, Frau Mommsen!“

Ja, bitte tun Sie das, auf Wiedersehen.“

Jan verabschiedete sich und wollte nun einfach am äußeren Rand des Marktes entlang gehen, um den Eingang ins Büro zu finden. Meistens sind an den Wänden eines Marktes Nischen für Sägezuschnitte, bestimmte Waren, die man nur einzeln ausgeben konnte oder durfte oder auch bestellte Sachen, die die Kunden abholen wollten. Jan fand zwar die Tür zu den Toiletten, aber von einem Büro konnte er zunächst nichts erkennen. Dann entdeckte er neben der Damentoilette eine zweite Tür. In einiger Entfernung stellte er sich auf die Lauer, um zu erkennen, wer dort aus- und einging. Erstand genau vor einem riesigen Regal mit allen möglichen Schrauben. Es dauerte seine Zeit, aber dann kam ein Verkäufer auf ihn und fragte, ob er helfen könne. Jetzt musste Jan improvisieren, damit er den Mann loswerden würde.

Ja, sagen sie mal, ich suche schon seit einiger Zeit eine M10 Maschinenschraube. Wenn Sie mir da helfen könnten?“

Triumphierend bückte sich der Mann und holte ein Bliesterpack mit 6 Schrauben hervor. „Wie lang müssen die denn sein?“, wollte er wissen.

25 mm, und bitte mit Linksgewinde. Hatte ich das nicht gesagt?“ Jetzt hatte Jan den Verkäufer da, wo er ihn haben wollte.

Mit Linksgewinde? Wofür brauchen Sie denn so etwas?“ Der Mitarbeiter des Baumarktes verlor fast die Fassung.

Ich habe letztens die Scheibe an meiner Flex gewechselt und die Befestigungsschraube leider verloren.“ Jan hatte sich die Antwort nicht vorher überlegt. Es kam ihm einfach so zugeflogen. Die Zeit auf dem Bau machte sich hier bezahlt.

Bester Mann, kein Geschäft der Welt wird sich Schrauben mit Linksgewinde ins Regal legen. Da müssen Sie bei ihrem Hersteller nachfragen oder ins Spezial Schraubengeschäft bei Wippermann in der Helgolandstraße mal nachfragen. Da kann ich leider nichts für Sie tun.“ „Trotzdem vielen Dank.“

Jan war froh, dass die Unterhaltung vorbei war. Aus den Augenwinkeln blickte er weiter zu der fraglichen Tür. Er wartete darauf, dass jemand mit einer Kassette von einer Ladenkasse hineinging oder herauskam. Um nicht aufzufallen, ging er die ganze lange Wand ab, indem er so tat, als betrachtete er die Auslagen in den Regalen. Er wusste, dass überall Videokameras im Markt hingen und mit der sogenannten künstlichen Intelligenz würden die ein auffälliges Verhalten eigenständig merken und ihn besonders beäugen. Das wollte er vermeiden. Plötzlich sah ganz in einer anderen Ecke dort wo die Boden- und Wandfliesen in den Auslagen hingen eine Kassiererin mit einer Kasse in eine Tür verschwinden, die er wohl zuvor für den Zugang zu einer Tischlerei gehalten hatte. Nun wollte er aber auch hier rausgehen, damit er nicht doch noch auffiel. Er schaute noch auf die Uhr, es war halb fünf. Also war um halb fünf Schichtwechsel an den Kassen. Jan ging hinaus auf den Parkplatz, um sich mit Dieter zu treffen.

Jetzt im Herbst begann es schon zu dämmern. Aber man konnte auch ohne die Beleuchtung der Bushaltestelle so ziemlich alles sehen. Leider war von Dieter und dem E-bike nichts zu sehen. Vielleicht ist er besonders gründlich mit seinen Beobachtungen meinte Jan in Gedanken. Gut, dann konnte er sich die Busfrequenzen merken. Also jetzt war es kurz nach halb Fünf, wann würde der Bus stadteinwärts wohl kommen. Während Jan versuchte, den ausgehängten Fahrplan zu interpretieren, kam tatsächlich ein Bus. Der hielt fast 10 Minuten an der Haltestelle und ließ alle möglichen Leute mit Traglasten und Einkäufen einsteigen. Als er endlich abfuhr, kam auch Dieter mit dem Fahrrad.

Mensch Dieter! Du hast es wohl sehr gründlich gemacht als Kundschafter. – Wieso hältst du denn deinen Arm so komisch?“

Oh oh,“ stöhnte Dieter, „ich bin dahinten in den Büschen auf die Fresse geflogen.“

Ach du mein Gott. Hätte ich dich bloß nicht draußen machen lassen. Ich mach mir jetzt aber Vorwürfe.“ Jan war ganz zerknirscht.

An der Stelle wäre dir das auch passiert. Dort zwischen den Büschen geht ein Fußweg bis fast an den Fluss. Man geht über eine Behelfsbrücke und ist dann auf der Straße mit einer Bushaltestelle. Ideal für uns. Hingefallen bin ich, weil ein Poller mitten im Weg eingebaut war. Der soll wohl Autos davon abhalten, den Weg zu benutzen.“

Das ist zwar prima, aber was machen wir mit deinem Arm?“

Der ist morgen bestimmt wieder OK. Das Rad hat auch nichts abbekommen. Scheint ein solides Teil zu sein.“

Jan meinte dann sinnierend: „So ein Teil kann man wegwerfen, wenn es kaputt ist, oder vielleicht kann man es reparieren. Bei einem Lebewesen wird es schwieriger. Sollen wir hier die Abfahrtzeiten noch weiter beobachten, sollen wir nach Haus fahren, was schlägst du vor?“

Wir bleiben!“ Dieter war sehr sicher in seiner Aussage.

Es war jetzt deutlich nach fünf Uhr. Die Busse hielten nur immer dann länger, wenn im Baumarkt Schichtwechsel war. Entweder hatten die Verkäufer Feierabend oder die Angestellten. Das konnten die beiden nicht in Erfahrung bringen. Von einem Panzerwagen, der die Tageseinnahmen abholte, war auch nichts zu sehen. Wahrscheinlich würde der morgen Vormittag kommen. Schließlich kamen um nach acht Uhr abends die letzten Mitarbeiter aus dem Markt und dann brannte nur ein Notlicht. Vorher hatte Dieter schon den Bus in die Stadt genommen, damit nicht auf einmal keiner mehr fuhr. Das wusste man nicht. Jan setzte den Helm wieder auf und fuhr mit dem kleinen Fahrzeug nach Haus. Komfortabel, komfortabel, dachte er bei sich, als ihm der Fahrtwind um die Ohren fegte.

 

11. Stremel: Mobilität für einen „guten Zweck?“

11. Stremel: Im Hühnerstall Motorrad…

Nein, es war nicht die Oma und auch kein Motorrad. Es war ein E-Bike welches Jan und Dieter aus der Heinrichstraße abholen wollten. Aber fangen wir am Vormittag an. Da wollte Werner ja ins Theater und mit seinem Laptop einen Lageplan des Baumarktes ausdrucken. Beim Frühstück im Altersheim hatte sich Dieter neben Oma Elke gesetzt. Die war eine über achtzigjährige rüstige ehemalige Schneiderin. Dieter unterhielt sich gerne mit ihr, weil beide über einen ähnlichen Wortschatz verfügten. Dabei muss man die speziell beruflichen Vokabeln natürlich ausnehmen.

Guten Morgen Dieter. Sag mal, was machst du eigentlich so den ganzen Tag? Du gehst ja oft spazieren trotz deinen Schmerzen im Bein.“

Um Antwort war Dieter nicht verlegen: „Der Doktor hat mir doch geraten, möglichst viel spazieren zu gehen. Dadurch könnten die Schmerzen nachlassen. Besser wäre noch Radfahren hat er gemeint.“

Elke war ganz erstaunt: „Dann müssten die Schmerzen doch bald ganz weg sein, wenn du so oft aus dem Haus bist.“

Ganz weg werden sie wohl nicht mehr sein. Abends sind sie aber wesentlich weniger als morgens wenn ich aufstehe.“ Plötzlich wechselte Elke ganz abrupt das Thema: „Meine Kinder sind jetzt schon einen ganzen Monat nicht mehr zu Besuch gekommen. Ich hoffe, da ist niemand krank. Was sollen dann bloß deren Kinder, meine Enkelkinder machen. Ich mach mir richtig Sorgen.“

Haben die denn auch nicht einmal telefoniert oder einen Gruß bestellen lassen durch das Personal?“

Nee, die haben einmal gesagt, dass sie in Urlaub nach Spaniern wollten, aber das ist doch schon so lange her.“ Elke war den Tränen nahe.

Dieter konnte sie aber beruhigen: „Aber Elke, du hast mir erst letzte Woche erzählt, dass deine Kinder verreisen und die nächsten 14 Tage dich nicht besuchen werden.“

Vorige Woche erst?“ Elke war ganz erstaunt. In ihrem alten Geist machte sich ein wenig Vergesslichkeit breit. Das merkte sie auch im Alltag im Heim. Wenn sie nicht von einer Pflegekraft abgeholt wurde, musste sie immer öfter nach dem Weg in den Gemeinschaftsraum fragen. Solche Beobachtungen erfüllten Dieter mit großer Sorge. Was wenn ihm oder einem seiner beiden Kumpanen ein ähnliches Schicksal drohte. Dann wäre das gewohnte Leben – so unbequem es auch sein mochte – nach und nach vorbei. Das wäre dann unumkehrbar, endgültig.

Warum kommen deine Kinder dich nicht besuchen?“ Elke fragte das in Dieters Gedankengang hinein und riss ihn damit in die Gegenwart zurück.

Mein einziger Sohn ist mit seiner Frau ausgewandert nach Argentinien. Sie kommen nur alle zwei Jahre nach Deutschland. So viel Geld haben sie auch nicht. Sie bezahlen ja auch das Heim hier für mich.“

Ach du meine Güte, das hört sich ja ganz weit weg an. Nein, wie schrecklich.“ So etwas konnte sich Elke gar nicht vorstellen. „Dann bist du sicher auch sehr einsam, Dieter.“

Na, ja, ich komme damit klar. Ich treffe auf meinen Spaziergängen auch oft Bekannte von früher.“ Da war Dieter wieder ganz vorsichtig mit seinen Äußerungen. Von Oma Elke würde jeder alles erfahren, was er nur fragte.

Ich darf ja nicht mehr in die Stadt gehen. Die Heimleitung meint, ich finde nicht mehr zurück. Aber hier im Garten gehe gerne mal spazieren. Kannst ja mal mitkommen, Dieter.“

Das machen wir mal. Wir warten mal schönes Wetter ab und dann schauen wir uns gemeinsam den Garten an.“ Dieter wusste, dass daraus wohl kam etwas werden würde, aber warum sollte er Elke enttäuschen.

Wir können ja gleich nach dem Frühstück ein wenig herumspazieren. Es regnet ja nicht, auch wenn nicht grade Sonnenschein ist.“ Elke ließ nicht locker.

Ja, machen wir“, sagte Dieter und fuhr fort: „Wir treffen uns dann in einer halben Stunde im Hauptflur.“ Damit wusste er, dass er wieder den ganzen Vormittag frei spazieren gehen konnte, weil Elke weder die Uhrzeit, noch den Treffpunkt einhalten würde. Wahrscheinlich hatte sie alles vergessen, sobald sie vom Tisch aufgestanden war.

Nachdem Elke aufgestanden und gegangen war, setzte sich Dieter kurz an den Tisch zu Werner.

Heute Nachmittag werden wir uns ja kaum sehen.“ So begann Dieter die Unterhaltung in gedämpften Ton.

Steuereinbruch?
Hat da einer alle Steuern geklaut oder ist es der Finanzminister selber

Nein“, meinte Werner. „Wir besprechen alles morgen Nachmittag. Vergesst nicht, ein wenig Korn oder Wodka einzukaufen. Es redet sich besser dabei.“ Mit diesem Spott wollte er sich ein wenig über Dieter lustig machen, dessen Liebe zu alkoholischen Getränken zwar nicht exzessiv, aber doch ausgeprägt war. Nach einer kleinen Denkpause für Dieter fügte er hinzu: „Ich mache mich gleich auf den Weg zum Theater. Wir haben das ja gestern besprochen.“

Na gut, dann bis morgen. Ich guck jetzt mal in den Hauptflur, ob Oma Elke tatsächlich unseren Termin vergessen hat.“ Damit machte er sich auf den Weg.

Werner stand auch auf und holte aus seinem Zimmer den Laptop. Sein kleines Zimmer nannte er immer ironisch Zelle wenn jemand ihn darauf ansprach. Ja sicher war es nicht luxuriös oder riesengroß, es bewahrte aber ein wenig Privatleben.

Werner machte sich danach direkt auf den Weg zum Theater.

Hallo Werner, kommst du jetzt öfter?“ Fritz, der Pförtner war nicht wenig überrascht.

Buenos dias, Fritz! Ja, ich bin wieder da mit einer geheimen Mission.“ Werner musste wieder ein wenig mit seinen Sprachkenntnissen angeben.

Eine geheime Mission? Erzähl mal!“

Nun ja, dir kann ich es ja erzählen. Du behältst nichts für dich. Das ist bekannt.“ Werner spottete wieder einmal ohne Rücksicht auf Gefühle anderer. Dass der Fritz aber besser informieren konnte als das Tageblatt war im ganzen Theaterbau bekannt. „Also ich möchte mir aus dem Internet eine Straßenkarte auf meinen Laptop laden. Zu Haus in meiner Zelle geht das nicht. Ist die Else eigentlich schon da, oder ist jemand im Büro?“

Fritz schien keineswegs beleidigt. Er wusste, dass viele Künstler auf seine Informationen Wert legten und antwortete auch sofort: „Frau Jürgensen ist im Büro und macht die Abrechnungen für Gagen, Gehälter und Löhne. Else habe ich heute noch nicht gesehen.“

Ok, vielen Dank Fritz. Ich hoffe, ich kann das eines Tages mal wieder gut machen. Bis dahin: Pour l`amour de Dieu, oder wie die Bayern sagen würden: Vergelt`s Gott!“

Davon habe ich schon ausreichend, aber trotzdem viel Erfolg bei Frau Jürgensen.“

Damit ging Werner die Treppen ins Nebengebäude hinauf ins Büro. Auf sein Klopfen an der Tür antwortete eine Frauenstimme mit Herein bitte. Nach dem Öffnen der Tür sah Werner die eine Dame vor einem PC die anscheinend Zahlenkolonnen in eine Datenbank eintippte. Sie sah nur kurz auf und fragte dann: „Ah, guten Tag Herr van Straaten. Wir haben von der Intendanz noch keinen Bescheid, wann wir sie wieder einsetzen können. Was kann ich sonst für Sie tun?“ Frau Jürgensen wollte gerne ihre Arbeit weitermachen, das war erkennbar.

Werner musste sein Anliegen am besten in einen kurzen Satz fassen, um die Geduld der Frau nicht zu strapazieren. „Ich würde mir gerne einen Stadtplan aus dem Internet herunterladen. Wenn ich einen Augenblick die Kennung für Ihr Wlan bekommen könnte, lasse ich Sie komplett in Ruhe.“

Wortlos griff Frau Jürgensen in eine der Schubladen in ihrem Schreibtisch und gab Werner ein Blatt DIN A4 Papier mit nur einer Zeile. Es war eine ellenlange Zahl, die als Schlüssel für das hauseigene Internet einzuspeichern war. „Bitte löschen Sie das wieder, wenn Sie fertig sind.“

Das mache ich selbstverständlich. Vielen Dank, Frau Jürgensen.“ Werner ging in den Flur, wo er den Drucker gesehen hatte. Dann schaltete er das Wlan seines Laptops ein und gab die lange Kennung ein. Als er im lokalen Netz des Büros war, suchte er in diesem Netz nach einem Drucker. Er fand ihn schließlich als Multifunktionsgerät und installierte den geforderten Treiber. Den Plan des Baumarktes druckte er drei mal und einmal eine Seite mit Stadtplan. Diese Seite brachte er offen mit ins Büro, wo er das DIN A4 Blatt mit der Wlan Kennung wieder zurückbrachte und die Dame einen kurzen Blick auf den Stadtplan werfen ließ. Dann verabschiedete er sich mit vielen Dank.

Auch beim Pförtner zeigte er wohlweislich nur den Zettel mit dem Stadtplan. Die Satellitenfotos behielt er in seiner Brusttasche. „Auf Wiedersehen Fritz“, sagte Werner dieses Mal auf Hochdeutsch und schlenderte wieder zurück in sein Zimmer. Dort musterte er die Aufnahme des Parkplatzes sehr genau und mit einem lauten Aha, konnte sich im Stillen schon einen Plan zurecht legen. Das würde er mit den Kollegen diskutieren.

In seiner Wohnung kämpfte Jan mit einem Luxusproblem. Er hatte noch eine Blechdose mit der Aufschrift: Herzhafter Grünkohleintopf im Schrank. Sollte er den verzehren oder einfach mal in die Budapester Alle spazieren und an der Pommesbude eine Currywurst genießen. Dann vielleicht noch ein Weizenbier? Aber nein, das ging heute nicht. Er konnte nicht mit einer Bierfahne in den Fahrradladen und ein E-Bike kaufen. Also her mit dem Grünkohl und der Abwasch war ja auch nicht schlimmer, als den Pappteller von der Currywurst in den Papierkorb zu werfen. Nach seinem Mahl schaute er im Fernseher noch die Nachrichten und sammelte dann schon alles zusammen, was er heute mitnehmen musste: Einen Ausweis, seinen Führerschein, das Geld für das Rad und vielleicht einen Anorak mit Kapuze. Man wusste ja nicht, wie lange der Baumarkt offen blieb. Abends konnte es schon ganz schön frisch werden. Auch bei einer flotten Fahrt auf dem E-Bike kann der Fahrtwind kühlen.

Alles lag parat als Dieter herein gehumpelt kam. Sie machten sich auf, den Fahrrad- Händler zu besuchen. Dabei waren beide seltsam still, als gäbe es nichts mehr zu besprechen. Dieter grübelte ein wenig darüber ob er wohl mit dem Ding zurecht käme. Ob seine Reaktionen schnell genug wären für den Verkehr in einer Stadt. Er freute sich schon darauf, auch entlegene Orte besuchen zu können. Für einige Fleckchen Erde war die öffentlichen Verkehrsmittel zu teuer für ihn und zu Fuß einfach zu mühselig. Auch Jan machte sich seine Gedanken über das neue Abenteuer. Was würde bei dem Baumarkt Job herauskommen. Was würde passieren, wenn sie von der Polizei geschnappt würden. Wenn er nach drei oder vier Jahren aus dem Gefängnis entlassen würde, wo sollte er noch eine Wohnung bekommen. Angst und Unsicherheit wollten sich einfach nicht unterdrücken lassen.

Der Händler in der Heinrichstraße kannte Dieter ja schon. Als er erfuhr, dass Jan seine Personalien für den Eintrag im Kaufvertrag und für die Versicherung abgeben wollte musterte er Jan von oben bis unten wie ein Metzger, der einen Bullen töten will. So fühlte es sich für Jan Daballer jedenfalls an. Er sah einen anscheinend vollkommen mobilen Menschen, mit einfacher Kleidung, sauberen Schuhen. Die Schuhe musterte er genauer und es schien ein Paar vom Kaufhaus zu sein. Ein billiges Sonderangebot taxierte er. So schätzte er die Bonität des Herrn Daballer ähnlich prekär ein wie die vom Dieter. Diesen fragte er aber dann doch: „Warum wollen Sie das E-bike nicht auf Ihren Namen zulassen?“

Hier konnte aber Dieter sofort Auskunft geben: „In meiner Stadtwohnung habe ich keinen sicheren Abstellraum. Daher habe ich einen Freund gebeten, seinen Namen zu verwenden.“

Gut, das ist im Grunde auch egal, ich muss dann nur noch den Kaufvertrag umschreiben. Wenn die Herren einen Augenblick Platz nehmen wollen..“

Während er sich im Stillen ärgerte dass er das Rad so billig verkauft hatte, bat er die beiden in sein Büro. Aus einem Papierstapel zog er zwei Blätter hervor, die er dann ausfüllte mit dem Namen und der Anschrift von Jan.

So, Herr Daballer, wenn Sie jetzt hier unterschreiben möchten. Es ist einmal der Kaufvertrag und einmal die Pflichtversicherung. Hat einer der Herren überhaupt einen Führerschein?“

Wir haben beide einen älteren mit Klasse 3. Wir haben bei Fahrpraxis auf diversen PKW!“ Während Jan das sagte, fummelten beide in ihren Jackentaschen herum, um die Dokumente heraus zu holen.

Ich brauche nur den Führerschein des Käufers, der hat ja sozusagen den Hut auf und muss auch den Vertrag unterschreiben.“ Der Händler setzte einen wichtigen Ton in seine Stimme.

Jan wollte aber noch etwas wissen: „Eine Frage zu dem Akku hätte ich noch: Kann man den abnehmen und in der Wohnung laden? Und dann würde mich noch interessieren wie schwer das Fahrzeug ist.“

Der Verkäufer begann das Gerät mit Worten zu vergolden: „Sie bekommen hier ein Super Gerät der Spitzenklasse. Es wiegt nur 27 kg und hat einen Akku und ein Ladegerät von Bosch. Damit sind sie immer auf der sicheren Seite. 50 km Strecke schaffen sie immer, auch bei Gegenwind. Sollte der Akku im Laufe der Zeit einmal nachlassen, dann garantiert der Hersteller 10 Jahre Ersatzlieferungen. Auch die Größe passt für den Herrn Daballer wunderbar. Leute bis 185 cm Größe können gefahrlos mit dem Rad fahren.“

Ich bin nur einsachtundsiebzig“, murmelte Jan.

Ja, sehen Sie, das passt doch genau. Das Rad kann bis zu einhundertsiebzig Kilo tragen. Wenn ich Ihre schlanke Statur sehe, dann könnte sogar die Frau Gemahlin noch auf einem zweiten Sattel mitfahren. Den müssten Sie allerdings auch bei uns kaufen und anbauen lassen.“

Jan hörte die letzten Ausführungen noch noch im Unterbewusstsein. Er dachte an die siebenundzwanzig Kilo, die er die Treppen hoch das Rad tragen müsste. Es schien aber durchaus nicht unmöglich, wo man doch den schweren Akku auch noch abnehmen konnte. Dann hörte er Dieter sagen:

Nun unterschreibe schon, damit wir weiter kommen!“ Jan nahm den dargebotenen Kugelschreiber und setzte unter 2 Verträge seinen Namenszug, ohne das Kleingedruckte gelesen zu haben. In dem einen Vertrag hatte er gelesen: Verkauft wie gesehen und bei Versicherungen hat man immer schlechte Karten. Da nützt es auch nichts, wenn man das Kleingedruckte liest.

10. Stremel: Für jeden zwei Überraschungen

So Leute, jetzt habe ich aber deutlich Bescheid bekommen: Mache deine Sätze kürzer. Der Text ist leichter zu lesen und zu übersetzen. Ich gebe mir jetzt Mühe. Wenn Werner aber seine Literatur Zitate rauslässt, dann schimpft bitte nicht auf mich. Ich bin schließlich nur der Botschafter, die Emittenten sind die Herren Klassiker oder die kopfgesteuerten Politiker.

P. S. Zur Auflockerung könnte man mal wieder eine alte Geschichte vom mir lesen: https://blog.topteam-web.de/?s=von+der+Maas

An diesem Nachmittag kamen kamen die Freunde wieder wie üblich in der Wohnung von Jan zusammen. Dieses Mal hatte wohl jeder einen Neuigkeit zu berichten. Werner begann mit seinem Besuch beim Theater ALADIN.

Der Intendant will die Oper Carmen aufführen. Else, eine Bekannte von mir, will sich bei ihm einsetzen, damit ich eine Statistenrolle bekomme. Da gibt es wieder ein paar Euros extra! Für uns alle natürlich!“ Das fügte er noch als Nachsatz hinzu.

Ja, musst du denn auch bei vielen Proben mitmachen und hast kaum Zeit für deine Freunde?“, wollte Jan wissen.

Der Spielplan beginnt erst in der  letzten Novemberwoche  und geht über Weihnachten bis ins neue Jahr. So schlimm wird es nicht und die Proben belegen oft  nur die Vormittage. Am Abend ist meistens schon eine andere Vorstellung angesetzt und so werde ich immer Zeit erübrigen können, um mit euch zu diskutieren. Natürlich kann ich auch bei irgendetwas mitmachen….“

Dieter schien erleichtert zu sein. Jan aber hing anderen Gedanken nach: Wenn die Polizei gestern bei ihm nur als Vorwand den Ärger mit Doro hatte aufklären wollen? Es war ihm nicht entgangen, wie die beiden Beamten, sich in seinem Wohn- Schlaf- Küchenzimmer umgeschaut hatten. Hatte die Polizei eine Spur zu ihm verfolgt? War irgendjemand verhaftet worden und hatte seinen Namen genannt? Dann fiel ihm ein, dass er ja überhaupt keinen Ärger mit seiner Verdauung gehabt hatte. Das schien ihm ein gutes Zeichen zu sein.

Dann kam Dieter mit einer Überraschung heraus.

Ich war heute Vormittag mit der Linie 12 in die Heinrichstraße zu dem Fahrradgeschäft gefahren. Dort bin ich extra auffällig rein gehumpelt. Dann kam ein Verkäufer angelaufen. Er fragte mich, was ich wolle. Ich habe ihm erklärt, dass ich gehbehindert sei und ein motorisiertes Fahrrad möchte. Ich könne aber nicht viel ausgeben, weil ich ganz wenig Rente habe.“

Werner konnte sich eine Bemerkung nicht verkneifen: „Ganz schön gerissen, aber es ja nichts als die Wahrheit, die reine Wahrheit und nichts hinzugefügt…So zusagen, so zitiert. “

Nee, hab ich nicht. Konnte ich gar nicht. Der Verkäufer lief gleich zum Chef. Der Chef kam und sah mich von oben bis unten an. Dann fragte er, wie viel ich denn als Preisvorschlag hätte.“

Werner war sehr gespannt: „Und was hast Du gesagt, du hattest doch praktisch nichts.“

Zur Sicherheit habe ich erst mal gesagt, zweihundert Euro könnte ich aufbringen. Darauf meinte er, so ein Ding dürfe er mir nicht verkaufen, es sei nicht verkehrssicher. 800 Euro sei die absolute Grenze. Das ist schade, habe ich gesagt, jetzt muss ich hier wieder heraus humpeln. Sozusagen ohne Erlösung von meiner Behinderung. Ich drehte mich schon um und wollte auf den Ausgang zugehen, da rief er noch einmal. Mein Herr, ich habe ein eigenes E-Bike. Das ist ein Jahr alt. Das hat fast drei Tausend Euro gekostet. Eigentlich wollte ich dafür noch fünfzehn hundert Euro haben. Weil Sie es sind gebe ich es für die Hälfte.“

Das sind immer noch siebenhundert und fünfzig Euro.“ gab Jan zu bedenken.

Ich meine, wir haben noch so viel. Dann habe ich gesagt, ich könne nur zustimmen, wenn dann auch noch ein Helm dabei sei. Dann waren wir uns einig. Wenn wir morgen bis drei Uhr dort sind, können wir das Ding abholen.“

Also Dieter! Ich muss mich bei dir entschuldigen. So einen gewieften Handel hätte ich dir nie zugetraut. Das grenzt schon an Genialität.“ Werner war voll Bewunderung.

Ich weiß nicht recht, ob ich mich bei dir bedanken soll. Du bist so raffiniert mit der Sprache, dass man sich immer unterlegten fühlt.“ Dieter war sehr vorsichtig und fühlte sich oft hintergangen. Bei Werner musste man aber auch aufpassen. Wenn er sich jetzt bei Dieter entschuldigen wollte, was musste er für schlimme Gedanken über ihn verschwendet haben.

Jetzt meinte Jan, er müsse auch seine Story loswerden: „Ich denke, ich hole mal unsere 3 Tassen und die Flasche Wodka. Keine leichte Kost, die ich heute gegen Uhr erlebt habe.“ Damit machte sich Jan am Küchenhängeschrank zu schaffen und Dieter erzählte, dass er das Handeln im Knoblauchbunker erlernt habe. Das sei kein Bunker gewesen, sondern ein Hochhaus, ein Wohnheim für ledige Männer. In der Mehrzahl hätten dort Türken und Araber gewohnt, die mit viel Knoblauch ihre Mahlzeiten zubereitet hätten. Das komplette Treppenhaus hätte immer nach diesem Gewürz gerochen. Es seien überaus nette Menschen gewesen. Abends hätten sie oft miteinander gesprochen bei Erdnüssen und Selters. Die meisten hätten keinen Alkohol getrunken, aber bei denen hätte er handeln gelernt. Er wurde oft mitgenommen auf einschlägige Basare und auch in Ankauf- Verkauf Geschäfte und auf Flohmärkte . Mit dieser Fähigkeit ausgerüstet habe er im späteren Leben den Leuten schon allerhand zu danken gehabt.

Ja, Leute, bei mir war heute die Polizei!“ Damit stellte Jan die Flasche und drei Tassen auf den Tisch. Obwohl er nicht besonders laut gesprochen hatte, bremste er Dieters Redeschwall damit wie auf Knopfdruck. Als erster fing Dieter sich aber wieder und fragte ganz folgerichtig: „Was wollten die denn?“

Ihr werdet es nicht glauben, aber die haben nach Frau Bartsch gefragt, der Wirtin vom goldenen Schellfisch. Die hatte wohl Ärger mit einem Stadtstreicher.“

Werner frage nach: „Vom Bankraub haben sie nichts gesagt?“

Kein Sterbenswort. Als wenn die beiden es gar nicht gewusst haben. Das beruhigt mich aber nicht sehr. Es könnte ja sein, dass das eine Polizeitaktik ist. Zuerst einmal bei dem Verdächtigen umschauen und dann Beweise sammeln. Es waren eine Frau und ein Mann und beide haben sich genau im Zimmer umgesehen.“

Hast Du denn etwas zur Sache aussagen können?“ Nun wollte Werner es genau wissen.

Ich habe nur gesagt, was ich auch gesehen oder vielmehr nicht gesehen habe: Ich habe nicht gesehen, dass Doro den Mann mit dem Kochlöffel geschlagen hat.“

Da scheint mir das Motiv der Polizei aber klar zu sein: Sie wollte den Vorgang mit dem Obdachlosen aufklären. Manchmal glaube ich, dass du dir zu viel Sorgen machst.“

Dieter meldete sich zu Wort: „Das denke ich auch. – Wann bekakeln wir denn den Kauf von unserem Rad? Oder wollen wir es nicht kaufen?“

Auf jeden Fall sehen wir uns das Teil einmal an. Wenn es wirklich so ein Schnäppchen ist wie der Verkäufer sagt, dann dürfen wir uns das nicht entgehen lassen. Am besten ist, du gehst morgen mit Jan dort hin. Dann meldet ihr das Ding auf Jans Namen an und auch die Versicherung geht auf Jan. Er hat die beste Adresse von uns dreien.“ Werner schien schon wieder einen Plan zu haben. „Wenn es wirklich ein E-Bike ist, braucht man Führerschein. Ihr beide habt einen, aber ich müsste noch einen kleinen Roller Führerschein machen. Es ist besser, wenn ich nicht mitkomme, denn man muss uns ja nicht zu dritt in der Öffentlichkeit sehen.“

Das leuchtet mir ein!“ Jan zögerte einen Moment ehe er fortfuhr: „Wäre es dann nicht besser, wenn ich das Ding nach Hause fahre? Ich brauche keine Einweisung und habe Fahrpraxis auf Baggern, Planierraupen, Muldenkippern, Gabelstaplern und Motorrollern. Danach können wir Dieter und auch dir, Werner, Übungen auf einem großen Parkplatz machen lassen. Am besten an einem Sonntag, dann sind die Plätze leer.“

Dieter nippte an seiner Tasse mit Wodka und nickte zustimmend. Dann gab er aber zu bedenken: „Wenn wir das nun alles gründlich erörtert haben, sollten wir uns klarwerden, was wir alles am Baumarkt ausspähen wollen. Sollen wir die Punkte festlegen und aufschreiben, oder ist das zu gefährlich?“

Werner äußerte sich zu Dieter gewandt: „Morgen kaufst du und Jan das Fahrrad. Dann fährst du mit dem Bus zum Übo Markt und Jan fährt mit dem e-Bike. Dann kann er gleich feststellen, ob das Ding was taugt. Jan geht dann in den Baumarkt und schaut wo das Büro sein könnte. Du kannst in der Zeit die äußeren Gegebenheiten anschauen. Wo könnte man sich mit der Beute eine kleine Weile verstecken? Kann man zu Fuß zum Fluss hinunter spazieren. Ist die Bushaltestelle direkt am Markt oder muss man da auch noch laufen?“

Äh, das mit der Bushaltestelle weiß ich. Die ist direkt am Markt, man muss aber über den ganzen großen Parkplatz zum Eingang gehen. Sag mal, können wir nicht beide zusammen in den Baumarkt gehen, oder ich gehe in den Markt und Jan läuft außen herum?“

Jan mischt sich ein: „Also mir ist das egal, wenn es nicht grade in Strömen regnet. Übrigens, was machst du denn in der Zeit wenn wir so fleißig sind, Werner.“

Werner lächelte ein überhebliches, arrogantes Gutsherren Lächeln. „Ich gehe morgen dann noch einmal ins Aladin Theater zu meiner Bekannten. Meinen Laptop nehme ich dann mit.“

Damit konnte selbst Jan nichts anfangen: „Hast du darauf das Kamasutra gespeichert und möchtest es nachspielen?“

Liebe Pfreunde“, Werner sprach das PF in Freunde recht deutlich aus, damit die beiden merkten, dass er sie für Pflaumen hielt. Jan merkte das, Dieter wusste mit dem PF nichts anzufangen. Werner fuhr mit einer ausführlichen Schilderung seiner Absicht fort:

Im Altersheim gibt`s kein Wlan dessen Passwort ich kenne. Else kennt aber das Passwort für das Theater – Wlan. Damit gehe ich ins Internet, zu Google Maps und wenn ich Glück habe, kann ich mir ein Satelliten-Bild von dem Baumarkt und dessen Umgebung ausdrucken. Ich hoffe, dass dann einer im Büro ist, den ich um so einen Ausdruck bitten kann. Leider wird es nur ein Schwarz- Weiß Foto sein.“

Dieter staunte nicht schlecht. Was es alles heute schon gibt, dachte er im Stillen und Jan grinste in sich hinein. Da hab ich mit dem Hinweis auf das Kamasutra seine Überheblichkeit auch ohne Schönheitschirurg aus seinem Gesicht bekommen.

Dann stellte man noch einvernehmlich fest, dass der Wodka zur Neige gehe und man wollte morgen Ersatz besorgen. Das sollte vor der Inspektion des Baumarktes passieren, weil man dort bleiben müsse, bis der Markt schließen würde.

Obwohl die erste Gaunerei so ein klägliches Ergebnis gebracht hatte machte sich eine positive Grundstimmung breit. Das war nicht nur dem wenigen Alkohol geschuldet. In Wirklichkeit war ihre Lage bisher keinen Deut besser geworden. Sie waren finanziell nicht besser gestellt als vorher. Aber sie hatten ein dunkles Geheimnis auf sich geladen. 

9. Stremel: Besuch von der Polizei und im Theater

Während Jan am nächsten Vormittag lange im Bett blieb, machte Werner gegen 9 Uhr einen Spaziergang zum Aladin Theater. Vielleicht könnte er dort jemanden treffen mit dem er einen kleinen Plausch halten konnte.

Na, Werner, auch mal wieder im Lande“, begrüßte ihn der Hausmeister am Personaleingang.

Ja, Fritz, will mal wieder schauen, ob`s etwas Neues gibt. Ist denn sonst jemand anwesend?“

Vor kurzer Zeit ist die Else gekommen. Die hat `ne neue Kollegin bekommen. Die heißt Claudia. Ein nettes Mädchen, hat aber einen festen Freund.“ Fritz tat so, als habe er mit dieser Nachricht eine ganz wichtige Botschaft überbracht.

Werner lächelte: „Wieso? Hast du etwa schon probiert, ob da was geht?“

Fritz fühlte sich ertappt: „Nee, ich meine ja nur so….“

Dann vielen Dank für den Hinweis. Ich schau dann mal bei der Else vorbei.“ Damit machte sich Werner auf den Weg in die Garderoben.

Elisabeth Bianca Brammser war Maskenbildnerin, Visagistin. Sie war geschieden und ihr ehemaliger Mann hatte kaum jemals eine Arbeit mit Sozialversicherung gehabt. Daher bekam sie auch nichts von seiner Rente, die ja verschwindend gering war. So war sie auf das knappe Salär vom Theater angewiesen und musste sogar ab und an beim Sozialamt aufstocken. Mit Else, wie sie genannt wurde, hatte sich Werner oft über Gott und die Welt unterhalten. Irgendwie hatten sie einen gemeinsamen Draht gefunden.

Werner kannte die Tür zur Maske und klopfte sicherheitshalber an. Von innen antwortete eine laute Stimme: „Seit wann wird hier angeklopft?“  Frau Brammser dachte wohl, es sei der Hausmeister.

Werner trat ein. Else ordnete am Schminktisch irgendwelche Pinsel, Schminke in Dosen, Tücher und in einem offenen Schränkchen hingen Perücken jeglicher Farbe und Länge. Man konnte Else ihr Alter kaum ansehen. Sie war halt immer noch hübsch, vielleicht machte es auch etwas aus, dass sie so viel Ahnung vom Schminken hatte. Werner wunderte sich immer wieder darüber. Er wusste, dass sie schon ihren Sechzigsten gefeiert hatte, weil er dabei gewesen war. Insgeheim dachte er, wenn man so alt ist wie ich, dann ist halt jede Frau schön. Dann lächelte er in sich hinein und auch nach Außen schienen einige seiner Gesichtsmuskeln sich zu einem heiteren Gesichtsausdruck zu verziehen, denn Else fragte: „Hallo Werner, was verschafft mir denn diese Ehre, und warum grinst du so?“

Aber Else, darf ich denn in deiner Gegenwart keine gute Laune haben? Na, dass ist ja ein Ding!“

Ich kenne dich, van Straaten! Du amüsierst dich gerne auf Kosten anderer. Ich gebe einen Groschen für deine Gedanken.“

Das kannst du billiger haben, ich sage sie dir freiwillig und umsonst: Ich habe dich bewundert, du bist kaum älter geworden.“

Es war Else egal, wie das gemeint war. Sie nahm es als willkommenes Kompliment. Wenn man den Satz seziert, dann heißt es ja, das Else schon ein wenig älter geworden war in den Augen von Werner.

Äh, ich bin auch noch da!“ Claudia wollte an der Unterhaltung teilhaben und hörte auf, die Perücke zu bearbeiten, die sie vor sich hatte. Else wandte sich an Werner:

Das ist übrigens Claudia, meine Assistentin.“ Zu Claudia sagte sie bestimmt aber nicht unfreundlich: „Und du bürste das Haarteil weiter. Man kann arbeiten und reden.“

Du kannst mich ja wenigstens mal vorstellen…“, maulte Claudia. Das machte Else dann auch kurz und knapp: „Claudia das ist der Werner, der hier auch mal gearbeitet hat und manchmal noch aushilft, Werner, das ist Claudia, die eine Lehre bei mir macht und vielleicht immer noch  dem Traum einer großen Bühnenkarriere nachhängt, wie wir beide es auch einmal getan haben.“ Sie seufzte nach Beendigung des Satzes.

Das Leben ist ja auch für uns noch nicht vorbei“, meinte Werner „hast du denn alle Hoffnung aufgegeben? Wie heißt es in Goethes Faust: Wer immer strebend sich bemüht, den wollen wir erlösen…“

Na, wenn die Hoffnung sich erst bei meinem Ableben erfüllt, dann würde ich diese Erfüllung als zu spät eingetroffen einschätzen. Übrigens, Goethes Faust: Es werden demnächst wieder einige Komparsen gebraucht. Wenn Du mitmachen willst, muss ich dich zu einem jungen Soldaten machen. Die Oper Carmen wird inszeniert. “

Werner freute sich, ließ sich aber nichts anmerken: „Na schaffst du das auch, aus so einem alten Knochen einen feschen Soldaten zu machen?“

Ich verwandle jede oder jeden so, dass deren eigene Mütter die Leute nicht wiedererkennen. Drauf kannst du einen ausgeben.“

Na gut. Ich glaube dir. Aber wegen der Statistenrolle sage dem Intendanten oder dessen Assistentin ruhig, dass er oder sie auf jeden Fall auf mich zählen kann.“

Wie wertvoll diese Gespräch mit Else war konnte Werner heute noch nicht ahnen. Er schrieb die Rufnummer seines alten Mobiltelefons auf einen Zettel. „Auf diese Nummer kannst Du mir eine Textnachricht hinterlassen. Das Telefon liegt aber immer im Altersheim am Auflader, weil der Akku kaputt ist. Man kann mich also nur abends persönlich sprechen. In dringenden Fällen musst du mich einfach besuchen.“

Else schmunzelte: „Die Nummer hast du mir schon einmal bei einer Premierenfeier gegeben. Wirst du vergesslich? Sind das Alterserscheinungen? Warst du so besoffen?“

OK, dann gehabt Euch wohl, edle Damen!“ Stilecht verabschiedete sich Herr van Straaten.

Nachdem er sich von den beiden Damen losgeeist hatte wollte er zum Mittagessen ins Heim zurück. Während er durch die belebte Straße spazierte grübelte er über Alterserscheinungen nach. Eigentlich fühlte er sich für sein Alter noch bestens. Er hatte andere – oft jüngere – Menschen gesehen, denen es bedeutend schlechter ging. Vor allen Dingen haperte es oft an der Gesundheit. Finanziell ging es ja allen im Heim ähnlich. Die Kosten für ihn zahlte wohl die Sozialhilfe, jedenfalls den Teil, den seine Rente offen gelassen hatte. Was niemand sonst wohl vorweisen konnte war die  eiserne Reserve in seinem Laptop. Somit waren sie alle in der Grauzone zwischen super arm und arm angesiedelt. 

Die sogenannte „mobile Brigade“ aus dem Heim nahm die Mahlzeiten zusammen in einem Gemeinschaftsraum ein. Nur Insassen die mit Behinderungen sich schlecht bewegen konnten bekamen ihr Essen aufs Zimmer. Einige wurden auch in Rollstühlen zum Essen in die sogenannte Cafeteria gebracht.  Dieter saß schon am Tisch und löffelte eine Suppe. Werner setzte sich zu ihm.

Was die beiden nicht wussten war der aufregende Vormittag, dem Jan in der Moltke-Straße ausgesetzt war. Kurz nachdem er sich eine Tasse Kaffee und ein Marmeladenbrot einverleibt hatte, klingelte es an seiner Wohnungstür. Nanu, dachte Jan, da sind die Kollegen aber früh unterwegs.

Als er die Tür öffnete, erschrak er bis ins Mark. Vor der Tür standen ein Pärchen Polizeibeamte. Ein Uniformierter wie ein Schrank und eine robuste weiblich Figur beide in schwarzer Montur mit Schirmmütze. Auf den Mützen und den Jacken prangten Hoheitsabzeichen.

Sind Sie Herr Jan Daballer“, fragte die Frau.

Jan konnte nur nicken. Man sah ihm an, dass ihm alles mögliche durch den Kopf ging.

Es ist nur eine kleine Auskunft, die Sie uns vielleicht geben könnten. Es geht um Frau Dorothea Bartsch. Dürfen wir einen Augenblick reinkommen?“ Der männliche Polizist sprach sehr freundlich und Jan hatte nicht den Eindruck, als würde er gleich verhaftet. Jan öffnete die Tür und trat zur Seite, um die beiden einzulassen: „Ja, bitte kommen Sie.“

Als alle drei bei Jan in der Stube standen hatte sich Jan wieder im Griff: „Bitte, nehmen Sie Platz.“

Vielen Dank, Herr Daballer. Es ist wegen des Datenschutzes…“, wollte der Polizist erklären aber Jan antwortete wie in Trance: „Wie könnte ich gegen Datenschutz verstoßen haben? Das kann ich mir nicht erklären.“

Die Polizistin lächelte entspannt: „Nein, wenn wir Leute über Dritte befragen, dann dürfen wir das nicht in der Öffentlichkeit machen, wo andere zuhören könnten. Das ist der Datenschutz, den wir beachten müssen.“

Ach so! Ja aber eine Frau Bartsch kenne ich nicht, es sei denn…?“ Jan stockte in seiner Erklärung. Er wollte nach dem Vornamen fragen, da fuhr der Beamte schon fort. 

Frau Dorothea Bartsch ist die Wirtin vom Goldenen Schellfisch. Die Dame behauptet, Sie , Herr Daballer seien Zeuge gewesen bei einer Auseinandersetzung mit einem Stadtstreicher.“ Der Mann schaute dabei auf ein Notizbuch, welches er die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte.

Jan war einigermaßen erleichtert: „ Doro, ja die kenne ich. Den Nachnamen von ihr höre ich aber zu ersten mal. Hoffentlich ist ihr nichts passiert. Als ich noch in Arbeit und Brot war, bin ich öfter mal in ihrer Kneipe vorbeigekommen. Aber jetzt ist das Geld knapper und da wird es seltener.“

Die Polizistin sah sich im Wohnzimmer um und dachte: Ja, es sieht nicht nach großem Reichtum hier aus.

Wann waren Sie denn zuletzt dort zu Gast?“, wollte der Polizist wissen. Jan überlegte krampfhaft. Ware es jetzt 10 oder 14 Tage her. Dann erklärte er: „Genau kann ich das nicht mehr sagen. Ungefähr zwei Wochen kann es her sein.“

Gut, das deckt sich  mit dem Termin, den der Stadtstreicher angegeben hat. Haben Sie den Mann vorher schon einmal gesehen? Er hat Frau Bartsch wegen Körperverletzung angezeigt. Dies soll im Gastraum der Wirtschaft geschehen sein. Sie hätte einen metallenen Gegenstand dabei benutzt.“ Als der das erklärte schaute er wieder in sein Notizbuch und schrieb neue Notizen hinein. Dann fragte er nach: „Haben sie die Metallstange auch gesehen?“

Jan setzte ein breites Lächeln auf: „Metallstange, ich lach mich kaputt. Es war eine Schöpfkelle. Ich kam gerade vom… äh…vom ..äh…vom Klo, da schrie sie den Mann an, er solle keine Getränke klauen. Er wollte grade mein Bier aus saufen. Ob der Löffel aus Metall war, kann ich nicht sagen. Es kann auch Plastik gewesen sein. Während der Zeit wo ich vom Klo durch den ganzen Saal bis zu dem Platz gegangen bin hat Doro nicht mit dem Löffel geschlagen. Das ist Fakt.“

Das deckt sich genau mit der Aussage von Frau Bartsch. Sie hat dem Herrn Knoll nur Prügel angedroht, wenn er das Lokal nicht verlässt.“

Das habe ich auch so gehört. Der Mann verließ aber danach gleich den Raum. Für Doro ist es sicher nicht einfach, sich immer durchsetzen zu müssen..“ Jan wirkte etwas erleichtert, denn die Beamten nickten; sie schienen genug gefragt zu haben.

Die beiden Polizisten standen auf. Jetzt schaute sich auch der Mann ein wenig um,  und Jan dachte fieberhaft an die beiden Pistolen auf dem Kleiderschrank. Er vermied es aber, in diese Richtung zu schauen, sondern las interessiert die große weiße Schrift auf deren Rückender beiden Besucher: POLIZEI.

Vielen Dank Herr Daballer und auf Wiedersehen.“ Jan begleitete die beiden zur Haustür. Wenn einer der Nachbarn grade neugierig gucken würde, könnte er die Polizei ja auch selbst gerufen haben, weil er sie so freundlich zur Haustür begleitete. Dann sagt er: „Auf Wiedersehen!“ , und leise, fast zu sich selbst: „Leben Sie wohl!“

Beim 10. Stremel ist eines sicher:https://blog.topteam-web.de/satire-oder-tatsache/10-stremel-fuer-jeden-zwei-ueberraschungen/ Er bekommt eine runde Ordnungszahl….

8. Stremel: Latrinengerüchte und ein neuer Plan

Ein Wort vorweg zu diesem Kapitel: Glauben Sie nicht alles was Sie lesen, und lesen Sie nicht alles was Sie glauben, denn unser Gehirn nimmt selektiv wahr. Was man früher als Latrinengerüchte abgetan hat, heißt heute vornehm Verschwörungstheorie. Wenn man also genau das liest, was man ohnehin vermutet, werden diese Gerüchte zur eigenen Wahrheit. Sortieren Sie sorgfältig die Unterhaltung unserer drei Protagonisten nach solchen Kriterien. 

Leider hatte Werner den Artikel über den Todesengel gelesen und brachte die Unterhaltung gleich in diese Richtung.

In letzter Zeit wird oft über den demografischen Wandel in Deutschland geredet. Bald können die jungen Leute uns nicht mehr ernähren. Da kommen solche Todesfälle der Rentenversicherung doch sehr gelegen. Es ist und bleibt aber Mord.“

Jan war komplett entrüstet: „Nie im Leben würde ich glauben, dass unsere Regierung, oder überhaupt eine Regierung, zu so einem Schritt fähig wäre.“

Da trumpfte Dieter mit einer Erkenntnis auf: „In Argentinien – meine Tochter ist dahin ausgewandert – hat man den Rentnern kostenlos Viagra gegeben. Als Nebenwirkung konnte man damals als älterer Patient Herzinfarkt  bekommen und meiner Mutter hat ein Arzt einmal Clopazin oder Clozapin oder so verschrieben. Da stand auf dem Beipackzettel etwas von plötzlichen Todesfällen als Nebenwirkung. Meine Mutter war über 90 und ich war mitgegangen zum Arzt. Die Sprechstundenhilfe fragte damals, wie lange meine Mutter schon Rente bekommt. Das alles kommt mir jetzt schon etwas merkwürdig vor. Heute scheint mir die Frage sehr unanständig. Hätte sie gefragt, seit wann meine Mutter Rentnerin ist, dann hätte ich mir nichts dabei gedacht. Aber so…?“

Jan versuchte sich selbst und die Kollegen zu beruhigen: „Wenn es wirklich so wäre, dann hätte die Regierung viele Möglichkeiten, die Rentner loszuwerden. Sie könnte z. B. Das Essen auf Rädern vergiften mit einem schleichenden Gift. Bei alten Leuten würde die Polizei keine großen Untersuchungen veranstalten. Auch im Altenheim wäre das ein Klacks, Leute um die Ecke zu bringen. Durch vertauschen von Medikamenten – kann ja mal passieren. Aber natürlich auch über die Nahrung. In Russland versterben oft mehrere Menschen an selbst gebranntem Schnaps. Auch da könnte ein Agent Leute zum Kaffee einladen, hinterher einen Schnaps ausgeben und der wäre dann der letzte Drink des so Beschenkten. Das alles funktioniert nicht, man braucht zu viele Mitwisser.“

Viele Mitwisser braucht man nicht.“ Werner hatte schon eine Idee für die praktische Ausführung: „Ein einziger Agent könnte in einer Großküche Tausende von Menschenleben gefährden. Wenn er unauffällig eine Kelle Toxin in einen großen Kessel mit dem aktuellen Mittagessen oder mit dem Dessert gibt, dann macht er alle nachfolgenden Personen zu Handlangern ohne deren Wissen. Die Abfüller in Portionen, die Verteiler und auch jene, die die Nahrung übergeben. Ganz besonders effektiv wäre auch das Verbreiten von Grippeviren, die vorwiegend alte Leute dahinraffen. Um einen solchen Plan zu realisieren braucht es wenig Leute für viele Tote. Übrigens Plan, wollen wir nicht einmal diskutieren, wie wir die folgenden Wochen eine neue Strategie ausklügeln?“

Jetzt kam Dieter aber in Rage: „Lass uns erst einmal klarstellen, ob unsere Regierung zu solchem Handeln fähig wäre. Ich glaube, die könnte sich das gar nicht erlauben, weil die Leute vom Fernsehen oder von der Zeitung drauf kämen und einen großen Skandal draus machen würden.“

In Jan stieg schon wieder die bekannte Furcht auf. Könnte auch die deutsche Regierung zu solchen Handlungen fähig sein. Was würde das denn für sein eigenes Leben bedeuten? In seine Gedanken hinein gab Werner, der ja stets am Puls der Zeit mit seiner Lektüre von Zeitungen und Nachrichtensendungen gewesen war eine entlarvende Antwort.

Wir haben einen Bundestagspräsidenten, der einhundert Tausend D-Mark Schmiergeld in der Schublade vergessen hat. Wir hatten einen Bundeskanzler, der die Herkunft von Schmiergeld für seine Partei nicht einmal vor dem Untersuchungsausschuss erläutert hat. Wir hatten einen Innenminister, der nicht ` mit dem Grundgesetz unterm Arm ` herumlaufen wollte.  Das sind die dicksten Brocken. Von den kleineren Gefälligkeiten bei Abgeordneten, Ministern uns so weiter will ich gar nicht reden. Die Lobbyisten stellen eine ganze Bestechungsindustrie dar und niemand tut etwas dagegen. Keine Regierung packt eine Rentenreform an.“

Werner holte tief Luft, dann fuhr er fort: „ Geh doch mal in die Schulen und Lehrwerkstätten. Schon dort wird gesiebt. Wenn du noch so klug bist und als Handicap arme Eltern oder gar Migranten hast, dann bist du schon ein Leben lang benachteiligt. Ich habe selbst erlebt: Mein Vater war Gerüstbauer, meine Mutter Putzfrau. In der Schule hatte ich einen Klassenkameraden, dessen Vater Leiter eines Finanzamtes war. Ich weiß nicht, ob der Knabe doof war, aber wenn er es nicht war, dann war er stinkfaul. Meine Zensuren waren erheblich besser als seine. Trotzdem wurde er für weiterführende Schulen vorgeschlagen und mir riet man seitens der Lehrer, ich möge doch eine Lehre auf dem Bau anfangen. Dort sei ein Mangel an Lehrlingen.“

Werner wurde etwas leiser und auf seiner Stirn formierten sich Sorgenfalten, als würde er alles noch einmal erleben. Dann meinte er: „Auch meine Eltern rieten mir, auf den Bau zu gehen. Ein Kollege von meinem Vater war Maurer und verdiente gutes Geld. Dem solle ich nacheifern. Ich machte aber lieber in einem Fernkurs Fachhochschulreife, ein Studium konnte ich mir natürlich nicht leisten. Mit meinen Stärken in Deutsch und in deutscher Literatur konnte ich eine Stelle als Souffleur bei einem Theater bekommen und hab auch kleine Rollen gespielt oder als Statist fungiert. Ich will damit nur sagen, dass man den kleinen Leuten gerne Märchen von der Gerechtigkeit erzählt und viele glauben es.“

Diese Unterhaltung war nichts für Jan. Wenn Werner es selbst erlebt hatte, dann war es um die Gerechtigkeit ja wirklich nicht so gut bestellt in der Bundesrepublik. Dann sagte er wie zu sich selbst: „Aber kampflos geben wir nicht auf!“

Es war eine kleine Weil still in der Wohnung. Jeder grübelte für sich vor sich hin. Jan unterbrach die Stille: „Wir hatten ja über den Supermarkt gesprochen, wo so viel Geld am Tag reinkommt. Könnte man da einen Plan machen, der uns das Geld in die Hände spielt?“

Werner hatte eine andere Idee: „Nee, Leute, mitten in der Stadt, das ist nichts. Dann können wir uns gleich bei der Polizei melden und um Arrest bitten. Wir brauchen ein Objekt außerhalb mit großem Parkplatz…“

Jetzt meldete sich auch Dieter zu Wort: „Also ich weiß so einen Platz außerhalb. Es ist aber kein Supermarkt, sondern ein Baumarkt…“

Werner fiel ihm ins Wort: „Waaas, ein Baumarkt?“ Dieter erschrak: „Habe ich was falsches gesagt?“

Nein, Mensch, du hast die Lösung für unser Problem. Wo ist dein Baumarkt denn?“

Da muss man mit der Buslinie 15 fahren. Es ist ungefähr 2 Kilometer hinter unserem Ortsschild und da kommen am Wochenende immer viel Leute hin.“

Stellt euch mal vor: Ein Baumarkt. Da kauft kaum einer unter hundert Euro ein. Das wäre ein lohnendes Objekt. Wir müssen und das natürlich genau anschauen und einen minutiösen Plan ersinnen. Da darf nichts schiefgehen. Wenn es klappt, sind wir saniert. Glaubt mir das. Auch wenn manche Leute bargeldlos zahlen, es bleibt immer noch eine große Summe im Tresor.“ Werner geriet ins Schwärmen bei dem Gedanken.

Jan musste noch etwas loswerden: „Steht es also fest, dass wir weitermachen mit unserem Gewerbe?“ Darauf hatte Werner ein großartiges Zitat, dass wohl nicht aus der klassischen Literatur war, sondern das Schlagwort einer politischen Gruppe: „Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.“ Jedoch egal wer immer der Emittent dieser Worte gewesen war, der Satz entbehrte nicht einer gewissen Logik. Wie anders sollten die Benachteiligten Hilfe bekommen, wenn sie sich nicht selbst helfen würden.

Mit dem furchterregenden politischen Geschwätz mochte Jan nicht weitermachen. Daher fragte er an Werner gewandt: „Wie wollen wir denn die Gegend auskundschaften, wenn sie so weit von unserem Ort entfernt ist. Da muss man von hier ja mindestens fünf Kilometer gehen, hin und zurück. Und einmal beobachten wird nicht reichen, es müssen wohl mehrere Tage angesetzt werden.“

Was man auch tut, ein Plan ist oft hilfreich…

Das auf jeden Fall!“, meinte Werner. „Ich könnte mir vorstellen, dass wir ein elektrisches Fahrrad kaufen, gebraucht natürlich. Da nehmen wir das Geld, das wir jetzt schon haben und investieren es sozusagen in das Geschäft. Wahrscheinlich brauchen wir auch einen Helm. Führerschein brauchen wir keinen für so etwas.“

Sowohl Dieter aus auch Jan hatten einen alten Führerschein Klasse 3 und hätten sogar LKW bis 7,5 Tonnen damit fahren können. Werner hatte sein weniges Geld immer in Ausbildung oder Bücher gesteckt und daher keine Fahrerlaubnis bezahlen können. Autofahren konnte er aber auch.

Werner wollte noch etwas wissen: „Müssen wir noch etwas diskutieren? Oder anders herum: Hat noch jemand eine Frage?“

Darauf meldete sich Dieter, artig wie in der Schule gelernt, mit Handzeichen: „Gibt es heute keinen Daumenbreit Wodka?“

Jan holte 3 Tassen und eine angebrochene Flasche aus seiner Pantry. Schließlich gehörte der Wodka allen Dreien zu gleichen Teilen. Dann meinte er wie beiläufig an Werner gewandt: „Zwei Fragen bleiben bisher offen: Wer fährt das Ding und wo stellen wir es unter. Ich vermute, dass im Altersheim kein Platz dafür zu finden ist. Oder es wird kein Platz dafür genehmigt.“

Darüber habe ich auch schon ein wenig nachgedacht. Wir im Altersheim haben kaum Möglichkeiten, aber du als Mieter Jan, du könntest doch wohl auch einen Kellerraum haben. Ein Fahrrad kann dir schließlich keine Wohnungsgesellschaft verbieten.“

Das ist richtig. Bisher habe ich nicht einmal ein Schloss vor der Tür und wenn das Ding nicht zu schwer ist, dann kann es notfalls hochkant hineinpassen. Ich meine ja nur, wenn das Rad länger ist, als der Fußboden dort. Bleibt die Frage nach dem Gewicht. Hinunter werde ich es immer bekommen, aber aufwärts…? Da dürfte es nicht zu schwer sein.“

Das kommt wohl auch auf den Preis drauf an.“ Dieter mischte sich mit ein. Schließlich hat er auch Ahnung von Metallen und deren Gewicht. „Ein modernes E-Bike mit Teilen aus Leichtmetallen wird um einiges teurer sein als ein Gerät mit normalen Stahlrahmen.“

Werner konnte mit einer Antwort auftrumpfen: „Ich kenne einen großen Laden in der Heinrichstraße. Der hat immer eine Auswahl an gebrauchten Rädern. Oft auch Sonderangebote aus Asien. Es ist allerdings eine Strecke zu Fuß. Der Bus hält nur am Stresemann Platz. Von da ist es noch gut einen Kilometer. Da wäre es vielleicht besser, wenn nur Jan mitkommt.“

Eine Sache wollte Dieter noch klären: „Kann ich das Ding auch fahren? Ich meine wegen meiner Behinderung am Knöchel?“

„Das wird kein großes Problem werden. Ich übe mit dir auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt.“ Jan bot sich sofort an.

Irgendwie war jetzt alles besprochen. Man wollte ein wenig Mobilität gewinnen, um den neuen „Job“ genauestens auszukundschaften.

Nachdem der obligatorische Daumenbreit eingeschenkt war gab es nur noch ein Wort zu sagen: “Prost!“

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