9. Stremel: Besuch von der Polizei und im Theater

Während Jan am nächsten Vormittag lange im Bett blieb, machte Werner gegen 9 Uhr einen Spaziergang zum Aladin Theater. Vielleicht könnte er dort jemanden treffen mit dem er einen kleinen Plausch halten konnte.

Na, Werner, auch mal wieder im Lande“, begrüßte ihn der Hausmeister am Personaleingang.

Ja, Fritz, will mal wieder schauen, ob`s etwas Neues gibt. Ist denn sonst jemand anwesend?“

Vor kurzer Zeit ist die Else gekommen. Die hat `ne neue Kollegin bekommen. Die heißt Claudia. Ein nettes Mädchen, hat aber einen festen Freund.“ Fritz tat so, als habe er mit dieser Nachricht eine ganz wichtige Botschaft überbracht.

Werner lächelte: „Wieso? Hast du etwa schon probiert, ob da was geht?“

Fritz fühlte sich ertappt: „Nee, ich meine ja nur so….“

Dann vielen Dank für den Hinweis. Ich schau dann mal bei der Else vorbei.“ Damit machte sich Werner auf den Weg in die Garderoben.

Elisabeth Bianca Brammser war Maskenbildnerin, Visagistin. Sie war geschieden und ihr ehemaliger Mann hatte kaum jemals eine Arbeit mit Sozialversicherung gehabt. Daher bekam sie auch nichts von seiner Rente, die ja verschwindend gering war. So war sie auf das knappe Salär vom Theater angewiesen und musste sogar ab und an beim Sozialamt aufstocken. Mit Else, wie sie genannt wurde, hatte sich Werner oft über Gott und die Welt unterhalten. Irgendwie hatten sie einen gemeinsamen Draht gefunden.

Werner kannte die Tür zur Maske und klopfte sicherheitshalber an. Von innen antwortete eine laute Stimme: „Seit wann wird hier angeklopft?“  Frau Brammser dachte wohl, es sei der Hausmeister.

Werner trat ein. Else ordnete am Schminktisch irgendwelche Pinsel, Schminke in Dosen, Tücher und in einem offenen Schränkchen hingen Perücken jeglicher Farbe und Länge. Man konnte Else ihr Alter kaum ansehen. Sie war halt immer noch hübsch, vielleicht machte es auch etwas aus, dass sie so viel Ahnung vom Schminken hatte. Werner wunderte sich immer wieder darüber. Er wusste, dass sie schon ihren Sechzigsten gefeiert hatte, weil er dabei gewesen war. Insgeheim dachte er, wenn man so alt ist wie ich, dann ist halt jede Frau schön. Dann lächelte er in sich hinein und auch nach Außen schienen einige seiner Gesichtsmuskeln sich zu einem heiteren Gesichtsausdruck zu verziehen, denn Else fragte: „Hallo Werner, was verschafft mir denn diese Ehre, und warum grinst du so?“

Aber Else, darf ich denn in deiner Gegenwart keine gute Laune haben? Na, dass ist ja ein Ding!“

Ich kenne dich, van Straaten! Du amüsierst dich gerne auf Kosten anderer. Ich gebe einen Groschen für deine Gedanken.“

Das kannst du billiger haben, ich sage sie dir freiwillig und umsonst: Ich habe dich bewundert, du bist kaum älter geworden.“

Es war Else egal, wie das gemeint war. Sie nahm es als willkommenes Kompliment. Wenn man den Satz seziert, dann heißt es ja, das Else schon ein wenig älter geworden war in den Augen von Werner.

Äh, ich bin auch noch da!“ Claudia wollte an der Unterhaltung teilhaben und hörte auf, die Perücke zu bearbeiten, die sie vor sich hatte. Else wandte sich an Werner:

Das ist übrigens Claudia, meine Assistentin.“ Zu Claudia sagte sie bestimmt aber nicht unfreundlich: „Und du bürste das Haarteil weiter. Man kann arbeiten und reden.“

Du kannst mich ja wenigstens mal vorstellen…“, maulte Claudia. Das machte Else dann auch kurz und knapp: „Claudia das ist der Werner, der hier auch mal gearbeitet hat und manchmal noch aushilft, Werner, das ist Claudia, die eine Lehre bei mir macht und vielleicht immer noch  dem Traum einer großen Bühnenkarriere nachhängt, wie wir beide es auch einmal getan haben.“ Sie seufzte nach Beendigung des Satzes.

Das Leben ist ja auch für uns noch nicht vorbei“, meinte Werner „hast du denn alle Hoffnung aufgegeben? Wie heißt es in Goethes Faust: Wer immer strebend sich bemüht, den wollen wir erlösen…“

Na, wenn die Hoffnung sich erst bei meinem Ableben erfüllt, dann würde ich diese Erfüllung als zu spät eingetroffen einschätzen. Übrigens, Goethes Faust: Es werden demnächst wieder einige Komparsen gebraucht. Wenn Du mitmachen willst, muss ich dich zu einem jungen Soldaten machen. Die Oper Carmen wird inszeniert. “

Werner freute sich, ließ sich aber nichts anmerken: „Na schaffst du das auch, aus so einem alten Knochen einen feschen Soldaten zu machen?“

Ich verwandle jede oder jeden so, dass deren eigene Mütter die Leute nicht wiedererkennen. Drauf kannst du einen ausgeben.“

Na gut. Ich glaube dir. Aber wegen der Statistenrolle sage dem Intendanten oder dessen Assistentin ruhig, dass er oder sie auf jeden Fall auf mich zählen kann.“

Wie wertvoll diese Gespräch mit Else war konnte Werner heute noch nicht ahnen. Er schrieb die Rufnummer seines alten Mobiltelefons auf einen Zettel. „Auf diese Nummer kannst Du mir eine Textnachricht hinterlassen. Das Telefon liegt aber immer im Altersheim am Auflader, weil der Akku kaputt ist. Man kann mich also nur abends persönlich sprechen. In dringenden Fällen musst du mich einfach besuchen.“

Else schmunzelte: „Die Nummer hast du mir schon einmal bei einer Premierenfeier gegeben. Wirst du vergesslich? Sind das Alterserscheinungen? Warst du so besoffen?“

OK, dann gehabt Euch wohl, edle Damen!“ Stilecht verabschiedete sich Herr van Straaten.

Nachdem er sich von den beiden Damen losgeeist hatte wollte er zum Mittagessen ins Heim zurück. Während er durch die belebte Straße spazierte grübelte er über Alterserscheinungen nach. Eigentlich fühlte er sich für sein Alter noch bestens. Er hatte andere – oft jüngere – Menschen gesehen, denen es bedeutend schlechter ging. Vor allen Dingen haperte es oft an der Gesundheit. Finanziell ging es ja allen im Heim ähnlich. Die Kosten für ihn zahlte wohl die Sozialhilfe, jedenfalls den Teil, den seine Rente offen gelassen hatte. Was niemand sonst wohl vorweisen konnte war die  eiserne Reserve in seinem Laptop. Somit waren sie alle in der Grauzone zwischen super arm und arm angesiedelt. 

Die sogenannte „mobile Brigade“ aus dem Heim nahm die Mahlzeiten zusammen in einem Gemeinschaftsraum ein. Nur Insassen die mit Behinderungen sich schlecht bewegen konnten bekamen ihr Essen aufs Zimmer. Einige wurden auch in Rollstühlen zum Essen in die sogenannte Cafeteria gebracht.  Dieter saß schon am Tisch und löffelte eine Suppe. Werner setzte sich zu ihm.

Was die beiden nicht wussten war der aufregende Vormittag, dem Jan in der Moltke-Straße ausgesetzt war. Kurz nachdem er sich eine Tasse Kaffee und ein Marmeladenbrot einverleibt hatte, klingelte es an seiner Wohnungstür. Nanu, dachte Jan, da sind die Kollegen aber früh unterwegs.

Als er die Tür öffnete, erschrak er bis ins Mark. Vor der Tür standen ein Pärchen Polizeibeamte. Ein Uniformierter wie ein Schrank und eine robuste weiblich Figur beide in schwarzer Montur mit Schirmmütze. Auf den Mützen und den Jacken prangten Hoheitsabzeichen.

Sind Sie Herr Jan Daballer“, fragte die Frau.

Jan konnte nur nicken. Man sah ihm an, dass ihm alles mögliche durch den Kopf ging.

Es ist nur eine kleine Auskunft, die Sie uns vielleicht geben könnten. Es geht um Frau Dorothea Bartsch. Dürfen wir einen Augenblick reinkommen?“ Der männliche Polizist sprach sehr freundlich und Jan hatte nicht den Eindruck, als würde er gleich verhaftet. Jan öffnete die Tür und trat zur Seite, um die beiden einzulassen: „Ja, bitte kommen Sie.“

Als alle drei bei Jan in der Stube standen hatte sich Jan wieder im Griff: „Bitte, nehmen Sie Platz.“

Vielen Dank, Herr Daballer. Es ist wegen des Datenschutzes…“, wollte der Polizist erklären aber Jan antwortete wie in Trance: „Wie könnte ich gegen Datenschutz verstoßen haben? Das kann ich mir nicht erklären.“

Die Polizistin lächelte entspannt: „Nein, wenn wir Leute über Dritte befragen, dann dürfen wir das nicht in der Öffentlichkeit machen, wo andere zuhören könnten. Das ist der Datenschutz, den wir beachten müssen.“

Ach so! Ja aber eine Frau Bartsch kenne ich nicht, es sei denn…?“ Jan stockte in seiner Erklärung. Er wollte nach dem Vornamen fragen, da fuhr der Beamte schon fort. 

Frau Dorothea Bartsch ist die Wirtin vom Goldenen Schellfisch. Die Dame behauptet, Sie , Herr Daballer seien Zeuge gewesen bei einer Auseinandersetzung mit einem Stadtstreicher.“ Der Mann schaute dabei auf ein Notizbuch, welches er die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte.

Jan war einigermaßen erleichtert: „ Doro, ja die kenne ich. Den Nachnamen von ihr höre ich aber zu ersten mal. Hoffentlich ist ihr nichts passiert. Als ich noch in Arbeit und Brot war, bin ich öfter mal in ihrer Kneipe vorbeigekommen. Aber jetzt ist das Geld knapper und da wird es seltener.“

Die Polizistin sah sich im Wohnzimmer um und dachte: Ja, es sieht nicht nach großem Reichtum hier aus.

Wann waren Sie denn zuletzt dort zu Gast?“, wollte der Polizist wissen. Jan überlegte krampfhaft. Ware es jetzt 10 oder 14 Tage her. Dann erklärte er: „Genau kann ich das nicht mehr sagen. Ungefähr zwei Wochen kann es her sein.“

Gut, das deckt sich  mit dem Termin, den der Stadtstreicher angegeben hat. Haben Sie den Mann vorher schon einmal gesehen? Er hat Frau Bartsch wegen Körperverletzung angezeigt. Dies soll im Gastraum der Wirtschaft geschehen sein. Sie hätte einen metallenen Gegenstand dabei benutzt.“ Als der das erklärte schaute er wieder in sein Notizbuch und schrieb neue Notizen hinein. Dann fragte er nach: „Haben sie die Metallstange auch gesehen?“

Jan setzte ein breites Lächeln auf: „Metallstange, ich lach mich kaputt. Es war eine Schöpfkelle. Ich kam gerade vom… äh…vom ..äh…vom Klo, da schrie sie den Mann an, er solle keine Getränke klauen. Er wollte grade mein Bier aus saufen. Ob der Löffel aus Metall war, kann ich nicht sagen. Es kann auch Plastik gewesen sein. Während der Zeit wo ich vom Klo durch den ganzen Saal bis zu dem Platz gegangen bin hat Doro nicht mit dem Löffel geschlagen. Das ist Fakt.“

Das deckt sich genau mit der Aussage von Frau Bartsch. Sie hat dem Herrn Knoll nur Prügel angedroht, wenn er das Lokal nicht verlässt.“

Das habe ich auch so gehört. Der Mann verließ aber danach gleich den Raum. Für Doro ist es sicher nicht einfach, sich immer durchsetzen zu müssen..“ Jan wirkte etwas erleichtert, denn die Beamten nickten; sie schienen genug gefragt zu haben.

Die beiden Polizisten standen auf. Jetzt schaute sich auch der Mann ein wenig um,  und Jan dachte fieberhaft an die beiden Pistolen auf dem Kleiderschrank. Er vermied es aber, in diese Richtung zu schauen, sondern las interessiert die große weiße Schrift auf deren Rückender beiden Besucher: POLIZEI.

Vielen Dank Herr Daballer und auf Wiedersehen.“ Jan begleitete die beiden zur Haustür. Wenn einer der Nachbarn grade neugierig gucken würde, könnte er die Polizei ja auch selbst gerufen haben, weil er sie so freundlich zur Haustür begleitete. Dann sagt er: „Auf Wiedersehen!“ , und leise, fast zu sich selbst: „Leben Sie wohl!“

Beim 10. Stremel ist eines sicher:https://blog.topteam-web.de/satire-oder-tatsache/10-stremel-fuer-jeden-zwei-ueberraschungen/ Er bekommt eine runde Ordnungszahl….

8. Stremel: Latrinengerüchte und ein neuer Plan

Ein Wort vorweg zu diesem Kapitel: Glauben Sie nicht alles was Sie lesen, und lesen Sie nicht alles was Sie glauben, denn unser Gehirn nimmt selektiv wahr. Was man früher als Latrinengerüchte abgetan hat, heißt heute vornehm Verschwörungstheorie. Wenn man also genau das liest, was man ohnehin vermutet, werden diese Gerüchte zur eigenen Wahrheit. Sortieren Sie sorgfältig die Unterhaltung unserer drei Protagonisten nach solchen Kriterien. 

Leider hatte Werner den Artikel über den Todesengel gelesen und brachte die Unterhaltung gleich in diese Richtung.

In letzter Zeit wird oft über den demografischen Wandel in Deutschland geredet. Bald können die jungen Leute uns nicht mehr ernähren. Da kommen solche Todesfälle der Rentenversicherung doch sehr gelegen. Es ist und bleibt aber Mord.“

Jan war komplett entrüstet: „Nie im Leben würde ich glauben, dass unsere Regierung, oder überhaupt eine Regierung, zu so einem Schritt fähig wäre.“

Da trumpfte Dieter mit einer Erkenntnis auf: „In Argentinien – meine Tochter ist dahin ausgewandert – hat man den Rentnern kostenlos Viagra gegeben. Als Nebenwirkung konnte man damals als älterer Patient Herzinfarkt  bekommen und meiner Mutter hat ein Arzt einmal Clopazin oder Clozapin oder so verschrieben. Da stand auf dem Beipackzettel etwas von plötzlichen Todesfällen als Nebenwirkung. Meine Mutter war über 90 und ich war mitgegangen zum Arzt. Die Sprechstundenhilfe fragte damals, wie lange meine Mutter schon Rente bekommt. Das alles kommt mir jetzt schon etwas merkwürdig vor. Heute scheint mir die Frage sehr unanständig. Hätte sie gefragt, seit wann meine Mutter Rentnerin ist, dann hätte ich mir nichts dabei gedacht. Aber so…?“

Jan versuchte sich selbst und die Kollegen zu beruhigen: „Wenn es wirklich so wäre, dann hätte die Regierung viele Möglichkeiten, die Rentner loszuwerden. Sie könnte z. B. Das Essen auf Rädern vergiften mit einem schleichenden Gift. Bei alten Leuten würde die Polizei keine großen Untersuchungen veranstalten. Auch im Altenheim wäre das ein Klacks, Leute um die Ecke zu bringen. Durch vertauschen von Medikamenten – kann ja mal passieren. Aber natürlich auch über die Nahrung. In Russland versterben oft mehrere Menschen an selbst gebranntem Schnaps. Auch da könnte ein Agent Leute zum Kaffee einladen, hinterher einen Schnaps ausgeben und der wäre dann der letzte Drink des so Beschenkten. Das alles funktioniert nicht, man braucht zu viele Mitwisser.“

Viele Mitwisser braucht man nicht.“ Werner hatte schon eine Idee für die praktische Ausführung: „Ein einziger Agent könnte in einer Großküche Tausende von Menschenleben gefährden. Wenn er unauffällig eine Kelle Toxin in einen großen Kessel mit dem aktuellen Mittagessen oder mit dem Dessert gibt, dann macht er alle nachfolgenden Personen zu Handlangern ohne deren Wissen. Die Abfüller in Portionen, die Verteiler und auch jene, die die Nahrung übergeben. Ganz besonders effektiv wäre auch das Verbreiten von Grippeviren, die vorwiegend alte Leute dahinraffen. Um einen solchen Plan zu realisieren braucht es wenig Leute für viele Tote. Übrigens Plan, wollen wir nicht einmal diskutieren, wie wir die folgenden Wochen eine neue Strategie ausklügeln?“

Jetzt kam Dieter aber in Rage: „Lass uns erst einmal klarstellen, ob unsere Regierung zu solchem Handeln fähig wäre. Ich glaube, die könnte sich das gar nicht erlauben, weil die Leute vom Fernsehen oder von der Zeitung drauf kämen und einen großen Skandal draus machen würden.“

In Jan stieg schon wieder die bekannte Furcht auf. Könnte auch die deutsche Regierung zu solchen Handlungen fähig sein. Was würde das denn für sein eigenes Leben bedeuten? In seine Gedanken hinein gab Werner, der ja stets am Puls der Zeit mit seiner Lektüre von Zeitungen und Nachrichtensendungen gewesen war eine entlarvende Antwort.

Wir haben einen Bundestagspräsidenten, der einhundert Tausend D-Mark Schmiergeld in der Schublade vergessen hat. Wir hatten einen Bundeskanzler, der die Herkunft von Schmiergeld für seine Partei nicht einmal vor dem Untersuchungsausschuss erläutert hat. Wir hatten einen Innenminister, der nicht ` mit dem Grundgesetz unterm Arm ` herumlaufen wollte.  Das sind die dicksten Brocken. Von den kleineren Gefälligkeiten bei Abgeordneten, Ministern uns so weiter will ich gar nicht reden. Die Lobbyisten stellen eine ganze Bestechungsindustrie dar und niemand tut etwas dagegen. Keine Regierung packt eine Rentenreform an.“

Werner holte tief Luft, dann fuhr er fort: „ Geh doch mal in die Schulen und Lehrwerkstätten. Schon dort wird gesiebt. Wenn du noch so klug bist und als Handicap arme Eltern oder gar Migranten hast, dann bist du schon ein Leben lang benachteiligt. Ich habe selbst erlebt: Mein Vater war Gerüstbauer, meine Mutter Putzfrau. In der Schule hatte ich einen Klassenkameraden, dessen Vater Leiter eines Finanzamtes war. Ich weiß nicht, ob der Knabe doof war, aber wenn er es nicht war, dann war er stinkfaul. Meine Zensuren waren erheblich besser als seine. Trotzdem wurde er für weiterführende Schulen vorgeschlagen und mir riet man seitens der Lehrer, ich möge doch eine Lehre auf dem Bau anfangen. Dort sei ein Mangel an Lehrlingen.“

Werner wurde etwas leiser und auf seiner Stirn formierten sich Sorgenfalten, als würde er alles noch einmal erleben. Dann meinte er: „Auch meine Eltern rieten mir, auf den Bau zu gehen. Ein Kollege von meinem Vater war Maurer und verdiente gutes Geld. Dem solle ich nacheifern. Ich machte aber lieber in einem Fernkurs Fachhochschulreife, ein Studium konnte ich mir natürlich nicht leisten. Mit meinen Stärken in Deutsch und in deutscher Literatur konnte ich eine Stelle als Souffleur bei einem Theater bekommen und hab auch kleine Rollen gespielt oder als Statist fungiert. Ich will damit nur sagen, dass man den kleinen Leuten gerne Märchen von der Gerechtigkeit erzählt und viele glauben es.“

Diese Unterhaltung war nichts für Jan. Wenn Werner es selbst erlebt hatte, dann war es um die Gerechtigkeit ja wirklich nicht so gut bestellt in der Bundesrepublik. Dann sagte er wie zu sich selbst: „Aber kampflos geben wir nicht auf!“

Es war eine kleine Weil still in der Wohnung. Jeder grübelte für sich vor sich hin. Jan unterbrach die Stille: „Wir hatten ja über den Supermarkt gesprochen, wo so viel Geld am Tag reinkommt. Könnte man da einen Plan machen, der uns das Geld in die Hände spielt?“

Werner hatte eine andere Idee: „Nee, Leute, mitten in der Stadt, das ist nichts. Dann können wir uns gleich bei der Polizei melden und um Arrest bitten. Wir brauchen ein Objekt außerhalb mit großem Parkplatz…“

Jetzt meldete sich auch Dieter zu Wort: „Also ich weiß so einen Platz außerhalb. Es ist aber kein Supermarkt, sondern ein Baumarkt…“

Werner fiel ihm ins Wort: „Waaas, ein Baumarkt?“ Dieter erschrak: „Habe ich was falsches gesagt?“

Nein, Mensch, du hast die Lösung für unser Problem. Wo ist dein Baumarkt denn?“

Da muss man mit der Buslinie 15 fahren. Es ist ungefähr 2 Kilometer hinter unserem Ortsschild und da kommen am Wochenende immer viel Leute hin.“

Stellt euch mal vor: Ein Baumarkt. Da kauft kaum einer unter hundert Euro ein. Das wäre ein lohnendes Objekt. Wir müssen und das natürlich genau anschauen und einen minutiösen Plan ersinnen. Da darf nichts schiefgehen. Wenn es klappt, sind wir saniert. Glaubt mir das. Auch wenn manche Leute bargeldlos zahlen, es bleibt immer noch eine große Summe im Tresor.“ Werner geriet ins Schwärmen bei dem Gedanken.

Jan musste noch etwas loswerden: „Steht es also fest, dass wir weitermachen mit unserem Gewerbe?“ Darauf hatte Werner ein großartiges Zitat, dass wohl nicht aus der klassischen Literatur war, sondern das Schlagwort einer politischen Gruppe: „Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.“ Jedoch egal wer immer der Emittent dieser Worte gewesen war, der Satz entbehrte nicht einer gewissen Logik. Wie anders sollten die Benachteiligten Hilfe bekommen, wenn sie sich nicht selbst helfen würden.

Mit dem furchterregenden politischen Geschwätz mochte Jan nicht weitermachen. Daher fragte er an Werner gewandt: „Wie wollen wir denn die Gegend auskundschaften, wenn sie so weit von unserem Ort entfernt ist. Da muss man von hier ja mindestens fünf Kilometer gehen, hin und zurück. Und einmal beobachten wird nicht reichen, es müssen wohl mehrere Tage angesetzt werden.“

Was man auch tut, ein Plan ist oft hilfreich…

Das auf jeden Fall!“, meinte Werner. „Ich könnte mir vorstellen, dass wir ein elektrisches Fahrrad kaufen, gebraucht natürlich. Da nehmen wir das Geld, das wir jetzt schon haben und investieren es sozusagen in das Geschäft. Wahrscheinlich brauchen wir auch einen Helm. Führerschein brauchen wir keinen für so etwas.“

Sowohl Dieter aus auch Jan hatten einen alten Führerschein Klasse 3 und hätten sogar LKW bis 7,5 Tonnen damit fahren können. Werner hatte sein weniges Geld immer in Ausbildung oder Bücher gesteckt und daher keine Fahrerlaubnis bezahlen können. Autofahren konnte er aber auch.

Werner wollte noch etwas wissen: „Müssen wir noch etwas diskutieren? Oder anders herum: Hat noch jemand eine Frage?“

Darauf meldete sich Dieter, artig wie in der Schule gelernt, mit Handzeichen: „Gibt es heute keinen Daumenbreit Wodka?“

Jan holte 3 Tassen und eine angebrochene Flasche aus seiner Pantry. Schließlich gehörte der Wodka allen Dreien zu gleichen Teilen. Dann meinte er wie beiläufig an Werner gewandt: „Zwei Fragen bleiben bisher offen: Wer fährt das Ding und wo stellen wir es unter. Ich vermute, dass im Altersheim kein Platz dafür zu finden ist. Oder es wird kein Platz dafür genehmigt.“

Darüber habe ich auch schon ein wenig nachgedacht. Wir im Altersheim haben kaum Möglichkeiten, aber du als Mieter Jan, du könntest doch wohl auch einen Kellerraum haben. Ein Fahrrad kann dir schließlich keine Wohnungsgesellschaft verbieten.“

Das ist richtig. Bisher habe ich nicht einmal ein Schloss vor der Tür und wenn das Ding nicht zu schwer ist, dann kann es notfalls hochkant hineinpassen. Ich meine ja nur, wenn das Rad länger ist, als der Fußboden dort. Bleibt die Frage nach dem Gewicht. Hinunter werde ich es immer bekommen, aber aufwärts…? Da dürfte es nicht zu schwer sein.“

Das kommt wohl auch auf den Preis drauf an.“ Dieter mischte sich mit ein. Schließlich hat er auch Ahnung von Metallen und deren Gewicht. „Ein modernes E-Bike mit Teilen aus Leichtmetallen wird um einiges teurer sein als ein Gerät mit normalen Stahlrahmen.“

Werner konnte mit einer Antwort auftrumpfen: „Ich kenne einen großen Laden in der Heinrichstraße. Der hat immer eine Auswahl an gebrauchten Rädern. Oft auch Sonderangebote aus Asien. Es ist allerdings eine Strecke zu Fuß. Der Bus hält nur am Stresemann Platz. Von da ist es noch gut einen Kilometer. Da wäre es vielleicht besser, wenn nur Jan mitkommt.“

Eine Sache wollte Dieter noch klären: „Kann ich das Ding auch fahren? Ich meine wegen meiner Behinderung am Knöchel?“

„Das wird kein großes Problem werden. Ich übe mit dir auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt.“ Jan bot sich sofort an.

Irgendwie war jetzt alles besprochen. Man wollte ein wenig Mobilität gewinnen, um den neuen „Job“ genauestens auszukundschaften.

Nachdem der obligatorische Daumenbreit eingeschenkt war gab es nur noch ein Wort zu sagen: “Prost!“

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7. Stremel, der verflixte

 

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An was denkst du denn?“ Werner wollte wissen, wie er den Freund denn ein wenig aufmuntern könnte.

Jan dachte etwas nach, um seine Gedanken genau formulieren zu können. Dann stellte er ohne Pathos oder Resignation eine Frage, die die anderen beiden sehr verwunderte: „Sind wir jetzt Außenseiter der Gesellschaft, Schädlinge, Schmarotzer? Trotz der geringen Beute haben wir doch irgend jemand etwas weggenommen!“

Dieter schaute ganz verblüfft. Er wusste nicht, ob er darauf antworten sollte. Ja, sie hatten irgendjemand etwas weggenommen, aber wem? Das Geld gehörte ja wahrscheinlich nicht der Bank, die sie überfallen hatten, sondern irgendwelchen Leuten, die die drei nicht einmal kennen konnten. Die Bank würde das Geld aber wahrscheinlich ersetzen müssen und das wiederum eine Versicherung, wenn die Ring-Bank denn versichert sein sollte.

Werner brauchte nicht lange überlegen: „Ganz zu Anfang der Menschheitsgeschichte hatte kein Individuum persönlichen Besitz, der nicht auch der Allgemeinheit, dem ganzen Stamm dienen konnte. Außer seiner Kleidung oder vielleicht einem Amulett gehörte alles allen Stammesmitgliedern. In der Regel waren es auch alle Verwandte. Es gibt Eingeborene in Südamerika und Afrika, die heute noch so leben. – Bei uns ist noch ein Artikel im Grundgesetz davon übrig geblieben: Eigentum verpflichtet, es soll gleichzeitig dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Niemand handelt danach.

Im Altertum ohne Sozialwesen oder Hartz IV war der Diebstahl oder Trickbetrug gängige Praxis um überhaupt überleben zu können. So ist der griechische Gott Hermes auch Gott der Diebe, nicht nur Götterbote oder Gott des Kaufmannes. Schaut euch um im Handel und der Politik. Es gibt heute Hermes-Bürgschaften der Regierung. Denkt euch `was dabei. Also ich habe überhaupt keine Gewissensbisse.“

Sollen wir denn jetzt einfach so weitermachen bis wir genug Geld oder Gefängnis zusammen haben?“ Jan schaute die anderen beiden nacheinander an als er das fragte.

Was können wir sonst tun!“ Dieter stellte das nicht als Frage, sondern als Fazit.

Jan wurde sehr nachdenklich: „Wozu denn der ganze Aufwand mit Bundestag, Regierung, Polizei und Presse. Es muss doch einen Grund geben, dass das Eigentum mit dem Individuum verknüpft wird.“

Werner schien in seinem Element zu sein, wenn es um Politik ging: „Was meint ihr, warum wir in Deutschland keine Volksabstimmungen haben? Der einzige Grund sind die Lobbyisten, die im Auftrag der Konzerne den Abgeordneten die Gesetzestexte `nahe legen`. Die große Mehrheit der Abgeordneten des deutschen Bundestages sind Juristen.  In der Schweiz funktioniert es schon hundert Jahre mit der Stimme des Volkes. Aber deutsche Regierungen achten sorgfältig darauf, dass gute Beispiele aus dem Ausland nicht übernommen werden. Eine ganze Weile war das Wort Volksvertreter umgangssprachlich abgeändert in VolksWAGENvertreter, nicht ohne Grund. “

Während der Unterhaltung wurden immer wieder „Daumenbreiten“ vom Schnaps entnommen. Schließlich war die Flasche Korn am Ende. Dieter kam auf die Idee, eine weitere im nahen Supermarkt zu besorgen. Wegen seines Handicaps am linken Knöchel mochte er aber nicht losgehen. Jan meldete sich wieder freiwillig: „Ich gehe eben schnell mal in die Budapester Alle. Bin gleich zurück. Gebt mir mal einen Zwanziger von den Scheinen.“

Halt mal, wir müssen ja Werner noch seine Einlage zurückzahlen. Der Rest ist dann erst Eigentum der Gemeinschaft!“, gab Dieter zu bedenken.

Nachdem auch das geregelt war, machte sich Jan auf den Weg. Es waren viele Leute auf der Straße, aber er verschwendete keinen Gedanken daran, dass er etwa schon von der Polizei gesucht werden würde. Das konnte ihm keine Angst einjagen, denn inzwischen hatte er ja auch drei oder vier Schnäpse intus.

Im Supermarkt griff er sich schnell eine neue Flasche und ging zurück an die Kasse. Dort stand eine Schlange von Hausfrauen mit vollen Einkaufswagen. Jan hörte die Kassiererinnen immer den geforderten Betrag ansagen. Im Stillen rechnete er die Summen zusammen. In den zehn Minuten die er warten musste waren sieben hundert Euro nur an dieser einen Kasse eingenommen worden. Hier einmal eine Pistole vorzuzeigen würde sich eher lohnen dachte Jan. Dann machte er die erste Anschaffung mit dem geraubten Geld indem er das klare Getränk bezahlte. Als er den Preis hörte merkte er, dass er statt Korn Wodka erwischt hatte. Egal, dachte er. Die Freunde werden auch das trinken.

In seiner Wohnung angekommen, wurde der Wodka mit großem Hallo begrüßt: „Jetzt bist du dir wohl zu schade, um bei Korn zu bleiben? Oder hast du uns etwas Besseres gegönnt?“ Werner konnte sich nicht zurückhalten mit einem kleinen Spott.

Ich habe mich einfach vergriffen!“, antwortete Jan.

Hört, hört: Er hat sich im Schnaps vergriffen.“

Jan wollte über seine Beobachtung an der Kasse berichten, doch Dieter fiel ihm ins Wort: „Jetzt aber erst einmal einen Daumenbreit in jede Tasse.“ Das wurde mit großer Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt ausgeführt, denn allmählich begannen die motorischen Fähigkeiten der Gesellen zu leiden.

Nun erzähl doch mal, was hast du gesehen?“ Werner schien noch alle Gedanken gut beieinander zu haben. Vielleicht war er den Alkohol besser gewöhnt. Er war oft zu Premieren Feiern eingeladen worden. Dort konnte man schön „üben“ in der Kunst des Trinkens alkoholischer Getränke.

Dann begann Jan seine Schilderung: „Ich griff mir also eine Flasche mit klarem Schnaps“ – „Ja mit Wodka, das wissen wir ja!“ warf Dieter ungeduldig dazwischen.

…und wollte schnell zurück an die Kasse“, fuhr Jan unbeirrt fort, „doch es standen schon mindestens 10 Leute mit vollem Einkaufswagen vor mir. An den anderen Kassen sah es ähnlich aus.“

Gelangweilt meinte Dieter: „ Ja und, das passiert mir auch oft genug.“

Lass ihn doch mal ausreden, da kommt bestimmt noch der Punkt!“ Werner schien etwas zu ahnen.

In den 10 Minuten wurden an nur dieser einen Kasse sieben hundert Euro eingenommen.“ Jan beendete seine Schilderung. Dieter konnte damit nichts anfangen. Bei Werner dämmerte es. Dieter kam ihm aber zuvor: „Also ich weiß nicht, was uns das interessieren kann…“ Sein Gesichtsausdruck unterstrich diese Aussage.

Werner fragte nach: „Und du sagst, es waren fünf gleichlange Schlangen während deiner 10 Minuten?“

Genau, und nach Adam Riese und Jan Daballer hat der Supermarkt in 10 Minuten 3500 Euro Umsatz gemacht. Und der Markt hat vom acht Uhr morgens bis zwanzig Uhr abends offen.“

Es wird aber nicht immer so voll sein dort. Zur Mittagszeit oder wenn viele Leute Abendbrot essen, dann ist sicher nicht so viel los.“

Dieter wusste immer noch nicht, was diese Unterhaltung bezwecken sollte. Schließlich erbarmte sich Werner und sagte nur: „Da würde es sich mehr lohnen, die Pistole vorzuzeigen…“

Auf einmal wurde es sehr still. Jeder hing anderen Gedanken nach. Dieter dachte, wir brauchen ja nicht mehr viel Geld, wir können uns immer wieder eine Flasche Schnaps kaufen. Wenn wir einmal in der Woche 20 Euro ausgeben, dann sind das bei 1000 Euro schon 50 Wochen und bei 1500, die wir noch haben sind es über ein Jahr.

Jan überlegt, dass er auf keinen Fall mit seinem empfindlichen Verdauungsorganen dort hinein spazieren würde. Und wen sollte er dann ausrauben. Wenn er einen Kassierer oder eine Kassiererin angehen würde, würden alle anderen Alarm geben und die Polizei rufen. Also da müsste schon ein ausgeklügelter Plan her. Wer sollte den aber entwerfen.

Werner, der schon viele Theaterstücke gesehen hatte und auch manche Literatur über solche Themen gelesen hatte machte sich ganz andere Gedanken. Er überlegte, wo ein Stück, ein Film oder eine Geschichte ein ähnliches Thema gehabt hatte. Natürlich konnte man die fiktiven Ereignisse nicht eins zu eins umsetzen, aber daraus lernen sollte immerhin möglich sein. Dann sagte er laut in die Runde:

Lasst uns erst einmal ausschlafen und nüchtern sein. Dann können wir darüber reden, ob wir überhaupt noch etwas machen wollen. Das war ein Vorschlag, dem jeder zustimmen konnte. Tags darauf wollte man sich wieder hier treffen. An diesem Abend fuhren Dieter und Werner mit Taxi zurück ins Altersheim.

Am kommenden Morgen machte sich Jan die Mühe, vom Bäcker in der Moltke-Straße zwei frische Brötchen zu holen. Er brühte sich einen großen Becher Sofort – Kaffee auf setzte sich mit einem Glas Marmelade, etwas Butter an seinen Tisch und spielte „Hotel-Frühstück“. Das genoss er ausgiebig und dachte dabei an bessere Zeiten. Auf seinen Montagereisen war er immer gewohnt, dass man sein Frühstück auf dem Tisch hatte oder es vom Buffet abholen konnte. Ja, so ändern sich die Zeiten. So richtig hatte er sich nie vorgestellt oder ausgemalt, wie es wohl im Alter sein könnte, welche Einschränkungen es gäbe und auf was er alles zwangsweise verzichten würde. Er hatte geahnt, dass nicht alles so bleiben würde, wie er es gewohnt war. Selbst als seine Frau ihn verlassen wollte, weil er so selten zu Hause war konnte er sich so einen Alltag nicht vorstellen. Was würde jetzt weiterhin geschehen? Sollten sie tatsächlich den nächsten Raub vorbereiten und ausführen? Ist es so wie mit Rauschmitteln; wer einmal angefangen hat, kann nicht mehr aufhören?. Man erzählt ja sogar von Spielsucht. Leute verspielen Haus und Hof nur wegen des Nervenkitzels. Düstere Aussichten.

Jan schaute schon mal in seinen Kühlschrank, was er denn heute zum Mittag aufmachen könne. Da lag noch ein Fertiggericht, eine Plastikschale mit Folie überzogen. Die sollte man mit der Gabel einstechen und dann könne man alles in der Mikrowelle wärmen. Ravioli stand auf der Verpackung. Na denn, dachte Jan, vielleicht kann ich nach dem Mittag perfekt italienisch. Er nahm sich die Tageszeitung von gestern, die er von einem Mitbewohner bekam, wenn der sie gelesen hatte und in den Müll werfen wollte. 

In der Zeitung stand ein großer Artikel über eine Pflegerin, die in Pflegeheimen Patienten getötet hatte, weil ihr der Stress zu viel wurde. Hoffentlich lesen das die beiden Freunde nicht, dachte Jan, aber vielleicht würde das Heim diese Ausgabe verschwinden lassen, um nicht alle Insassen zu beunruhigen. Jan erinnerte sich an einen Pfleger, der Patienten ein Medikament spritzte, damit sie ins Koma fielen und er sie dann mit einem Gegenmittel rettete. Damit wollte er als Held da stehen. Jan dachte sich, auch diese Sache nicht bei den Freunden zu erwähnen.

Es kam aber noch viel schlimmer. Darüber mehr, wenn am Nachmittag die zwei eintrudeln. Heute sollte es aber keinen Wodka geben, das nahm Jan sich vor.

Unglaubliche Gerüchte machten die Runde in Stremel 8

8. Stremel: Latrinengerüchte und ein neuer Plan

 

 

 

 

6. Stremel: Abrechnung, eine schlechte Bilanz

Nach dem ersten Schritt der drei Freunde in eine vermeintlich bessere Zukunft gingen alle einzeln nach Haus. Werner und Dieter trafen sich erst am Nachmittag in Jans Wohnung wieder. Während Dieter in der Nähe des Heimes an einer kleinen Bude ein langes Gespräch mit dem Verkäufer führte, trieb sich Werner in der Nähe des Theaters herum. Er hoffte, die eine oder andere Bekannte zu treffen. Es war zwar noch früher Vormittag aber Proben fingen immer kurz nach 9 Uhr an.

Dieter wagte nicht, die Aktentasche mit dem Geld auf sein Zimmer im Altenheim zu bringen. Er befürchtete, das Putzpersonal würde nachschauen und den Plastikbeutel mit Geld finden. Das wollte er nicht riskieren. Den ganzen Tag konnte er aber auch nicht am Kiosk verbringen, obwohl er den Verkäufer gut kannte. Nach einem ausgiebigen Plausch über das Wetter und die schlechten Zeiten ging Dieter ganz langsam in Richtung Moltke-Straße zu Jan. Er wollte sich mindestens eine Stunde Zeit lassen und dabei alle Schaufenster betrachten, auch jene, in denen für ihn nichts interessantes zu sehen war.

Inzwischen war Jan zu Hause angekommen. Das letzte Stück Weges musste er immer breitbeiniger laufen. In ungewohnter Eile zog er sich aus und versuchte, seine Kleidung grob zu reinigen. Dabei musste er das Fenster weit öffnen, um den Geruch nicht in der Wohnung zu verbreiten. In der Dusche ließ er das heiße Wasser eine ganze Weile laufen, um mit dem Dampf die Luft zu reinigen. In dichten Schwaden zog der Wasserdampf über den Lüfter ab und nahm ein guten Teil der anrüchigen Luft mit sich. Dann kam die Wäsche in die Waschmaschine und Jan stellte sich unter das temperierte Duschwasser. Genüsslich wusch er sich alles ab und es fielen ihm Gedanken ein, die die Symbolik dieser Waschung beinhalteten: Wusch er sich hier den ganzen Dreck auch gleich von der Seele? Wie oft hatte er gegen die immer wieder überfallartig drohende Angst gekämpft. Sie ließ sich einfach nicht überbrücken.

Früher auf den Baustellen hatten Kollegen ihn immer bewundert, wie er anscheinend ohne jeden Anschein von Schwindel auf hohen Gerüsten herum geklettert war. Keiner macht ihm die Balance auf Stahlbauträgern in großer Höhe nach. Und nun? Was hatte ihn so umgehauen? War es die täglich Sorge um genügend Geld für Essen, Wohnen, Leben? War es die Langeweile gewesen, die vor dem Treffen mit Dieter und Werner seine Tage bestimmten? Oder hatte ihm die Trennung von seiner ersten Frau mit dieser Angsthysterie infiziert. „Es ist scheißegal woher, ich muss es loswerden,“ sagte er laut zu sich selbst. Niemand konnte ihn hören. Als er sich angezogen hatte, ging er ins Wohnzimmer, machte alle beiden Fenster und auch die Tür zum Flur auf . Es gab zwar etwas Zugluft, aber er wollte ja auch ausgiebig lüften.

Es mag schon halb elf gewesen sein als Dieter mit seiner Aktentasche bei Jan ankam. Er wunderte sich etwas über das „Haus der offenen Tür“ ging aber ohne Bedenken weiter in Jans Wohnung.

Hallo Jan! Bist du zu Hause?“ Dieter schaute sich genau um.

Hallo Dieter, hier bin ich. Komm rein und lass und mal schauen, was wir heute erarbeitet haben.“

Machst Du grade Haus der offenen Fenster und Türen?“

Gestern hatte ich Fisch gebraten, den Gestank muss ich loswerden“, Jan log wie es ihm in den Sinn kam.

Dieter gab sich mit der Antwort zufrieden, obwohl er so einen Fischgeruch noch nicht erlebt hatte. Dann legte er die Tasche auf den Tisch und meinte: „Dann lass uns mal zählen!“ Er überlegt, ob er gestehen sollte, dass er einen fünf Euro Schein an der Bude ausgegeben hatte, um die Zeit totzuschlagen. Dann ließ er es aber, weil man könnte ihn womöglich verdächtigen, größere Summen unterschlagen zu haben.

Der Kassierer hat den Plastikbeutel richtig voll gestopft. Ich bin gespannt, wie viel da reingegangen ist. Lass uns damit lieber in die Küche gehen, falls Besuch vom Paketboten oder sonst einer hier reinkommen will.“ Jan hatte natürlich keinen Extraraum als Küche, nur ein mit einer Leichtbauwand abgetrennten Bereich mit einer Pantry. Beide setzten sich neben der Spüle auf Küchenhocker und begannen, die Tasche zu untersuchen.

Ich schlage vor, dass wir erst einmal alles sortieren: Die Hunderter, die Fünfziger und dann die kleinen Scheine wie zwanzig, zehn und fünf. Dann zählen wir die einzelnen Zettel (Geldscheine) und multiplizieren mit dem Wert und dann zählen wir alles zusammen.“ Jan schlug damit eine rationale Methode vor, wie er meinte. Dieter hatte ein Bedenken:

Wollen wir nicht lieber warten, bis der Werner dabei ist?“

Eigentlich sollten wir uns alle vertrauen. Ich habe ihm ja auch die fünf hundert Euro wieder mitgebracht, die aus dem goldenen Schellfisch gerettet hatte. Außerdem bin ich sehr neugierig.“ Jan dachte dabei, wenn sie jetzt anfingen, sich gegenseitig zu misstrauen, dann könnte das alles nicht sehr lange dauern. Dann wäre es bald zu Ende mit ihrer „Geschäftsbeziehung.“ So machten sich beide daran, die Tüte mit dem schönen Gemüsebild auf der Spüle zu leeren und die Scheine fein säuberlich aufzustapeln. Irgendwie war die Tüte ziemlich voll gewesen, aber wenn die Scheine gestapelt waren, dann sah es erschrecken wenig aus. Als alles ordentlich aufgestapelt dort lag, sagte Dieter mit skeptischer Miene: „So viel sieht mir das gar nicht aus…“

Na, lass uns erst einmal nachzählen.“ Als Jan den Satz beendet hatte, klingelte es an der Wohnungstür. „Deck schnell die leere Tüte über den Haufen“, meinte Jan, dann ging er die Tür zu öffnen.

Ach, du bist es Herr van Straaten. Da bin ich aber froh! Wir wollten gerade das Geld zählen.

Prima“, freute sich Werner, „zur Feier des Tages habe ich für jeden eine Currywurst und für alle eine Flasche echten Korn. Essen wir erst einmal die Wurst und dann gehen wir ans Zählen.“

Dieser Vorschlag stieß auf allgemeine Zustimmung. Beim Essen erzählt Jan natürlich nichts von seinem Missgeschick, wozu auch? Warum sollte er den anderen und sich selbst den Appetit verderben. Das war doch wirklich nicht nötig. Er beschloss, überhaupt nichts davon zu erwähnen. Wie stünde er denn da? Das Angst und damit verbundene Verdauungsstörungen auch eine normale Krankheit sein könnten, davon wollte er nichts wissen.

Nach der Mahlzeit gossen sie sich jeder noch einen „Daumenbreit“ von echtem Korn ein und so satt und zufrieden widmeten sie sich wieder den Scheinen.

Es sind leider nur elf Zwanziger, also 220 Euro“, meldete Dieter. Alle schauten sich gegenseitig an. Das war nicht die Welt. Das Fehlen von Hundertern und Fünfzigern ließ die Erwartungen zusammenschmelzen.

Ich habe hier zweihundert und fünf Zehner gezählt. Das sind immerhin Zwei Tausend und fünfzig Euro.“ Werner konnte seine Enttäuschung auch nicht verbergen. Auch wenn Jan noch so einen Berg fünf Euroscheine zählen würde, der Kohl würde heute wohl nicht mehr fett. Dann meldete Jan noch eine Pleite:

Genau siebzig fünf Euroscheine, also 350 Euro. 2 Tausend, sechshundert und zwanzig, das ist unsere ganze Beute“ . Jan hatte schnell gerechnet.

Der Lohn der Angst!“ zitierte Werner.

Na, jedenfalls kannst Du deine Einlage wieder bekommen.“ Jan hatte ein sehr langes Gesicht bekommen. Dann schlug er vor: „Am besten, wir schenken uns noch einen Daumenbreit Korn ein, wenn Werner das gestattet“.

Ja, KreuzMillionSchockschwereNotzumDonnerwetternochdreimal! Schenk ein, mach Striche!“ Werner schien die Fassung zu verlieren, die Contenance, wie er sagte.

Einige Minuten trat betretenes Schweigen ein. Jeder hing seinen Gedanken nach. Mit dem sorgenlosen Leben war es eben so wenig real, wie mit dem dauerhaften Gefängnis. Plötzlich meldete sich Werner, der meinte, mit seien Literaturkenntnissen die Laune etwas zu glätten, indem er einen Witz erzählte:

Also stellt euch vor: Nach einem Manöverball gab der Major seinem Burschen die Ausgehuniform zum Reinigen. Dabei sagte er ungefähr so etwas wie, dass die jungen Leutnants ja nichts vertragen könnten und ihm auf die Uniformjacke gekotzt hätten. Der Bursche kam erst nach zwei Tagen mit der gereinigten Uniform zurück: `Warum hat das so lange gedauert?“ fragte der Major. Der Bursche nahm Haltung an und kam mit der Entschuldigung raus: `Melde gehorsamst Herr Major: Man hat ihnen auch in die Hose geschissen`.

Dieter brüllte los vor Lachen, Jan blieb seltsam still:

Was hast du Jan, kannst du nicht drüber lachen?“

Nee, lass mal! Guter Witz, aber ich denke grade nach..“

Lest auch den siebenten Stremel.  https://blog.topteam-web.de/satire-oder-tatsache/7-stremel-der-verflixte/

Da geht es rund.

5. Stremel: Kassieren mit Pistole

Politische Aussage

5. Stremel: Kassieren mit Pistole

Trotz aufwändiger Beobachtung hatten die drei Freunde nicht herausbekommen, wann am meisten Geld in der Bank sein konnte. Jedenfalls kam der Geldtransporter immer um 20 nach 8. Punkt halb 9 machten die Uniformierten der Straßenbahn ihre Frühstückspause. Da musste alles vorbei sein. Also wollten spätestens 5 nach acht in der Bank sein. Es ging tatsächlich 3 Stufen aufwärts in den Schalterraum.

Jan hatte mehrere Arten der Maskierung versucht. Eine Zorro Maske fand er sehr kleidsam, aber er fürchtete, man könne ihn wieder erkennen auf einem Überwachungsfoto. Am eindrucksvollsten schien ihm die Strumpfhose aus Nylon. Er schnitt ein Teil eines Beines heraus und probierte vor dem Spiegel wie er damit aussähe. Dann nahm er eine alten Hut, den er seit Jahr und Tag nicht mehr getragen hatte und schob ihn sich über die Stirn, fast in die Augen. Innen klebte er die Strumpfhose ein, so dass er sie blitzschnell über sein Gesicht ziehen konnte. Über sein Unterhemd zog er einen dicken Pullover und darüber ein weites Oberhemd. Das sah aus, also ob er Bodybuilding gemacht hätte. Der Pullover füllte alle Freiräume zwischen Haut und Hemd total aus. Auf der Brust, an den Schultern und auch am Bizeps war Jan jetzt gut bepackt. Ein weites Jackett hatte er im Sozialladen für 3 Euro gekauft und so trat er vor den Spiegel und sagte: „OK, ich bin fertig.“ Die Pistole wurde in das Jackett gesteckt und in eine Hosentasche eine Plastiktüte mit der Aufschrift:“ Bei uns immer frisch!“ Ein Bild von grünem Gemüse rundete den Werbespruch ab. Es war Dienstag, der Tag des Mars, also genau richtig. Frohen Mutes machte er sich auf zum Stadtpark, dann zum Zentralfriedhof und schließlich zu der Bank, auf der Dieter schon wartete. Auch Werner sollte als Einzelgänger zum Treffpunkt laufen.

Wenn irgendwas Besonderes ist, dann pfeifst du auf der Trillerpfeife“, sage Jan leise. „Ich komme raus und pack meine Plastiktüte in die braune Aktentasche.“ Vom Blumenladen her kamen Fremde auf die Haltestelle zu. Jan wechselte schnell das Thema und tat so, als kenne er Dieter nicht: „Sitzen Sie schon lange hier? Wann kommt denn die nächste Bahn?“

Dieter war zuerst etwas verblüfft. Dann begriff er: „Keine Ahnung, ich habe nur das Grab meiner Mutter besucht. Mit der nächsten Bahn fahre ich zurück nach Haus.“

Als die Fremden außer Sichtweite waren, kam auch Werner atemlos aus dem Friedhofeingang zu der Bank. Er stellte sich vor den Fahrplan, um erst einmal wieder Atem zu schöpfen. Dann ging er auf dem Gehweg so weit, dass er außerhalb der Videoüberwachung sein musste. Wann immer ein Bankkunden kommen würde, der müsste an ihm vorbei, so dass er ihn anhalten konnte. 

Einige Halbwüchsige fuhren mit ihren Fahrrädern immer im Kreis um das Rondell bei der Haltestelle. Es war nicht viel Leben an diesem Dienstag vor der Endstation der Straßenbahn.

Jan ging auf den Eingang der Bank zu. Sein Herz klopfte bis zu Hals. Er hoffte nur, man möge ihm seine Aufregung nicht ansehen.

Er betrat den Schalterraum von der linken Seite, weil dort auch der einzige Auszahlungsschalter war. So konnte er nicht direkt gesehen werden, wie er sich blitzartig die Strumpfmaske über das Gesicht zog und den Hut in die Stirn schob. Mit zwei Schritten stand er vor dem Schalter und hielt dem Kassierer die Pistole vor. Wortlos reichte er ihm die Plastiktüte mit dem Gemüsebild und als der Kassierer nicht sofort reagierte, klopfte er mit der Walter PP hörbar erst auf den hölzernen Tresen und dann vernehmlich auch gegen die Glasscheibe. Dann erinnerte er sich an das einzige russische Wort, das er von Russlanddeutschen mitbekommen hatte:

Dawei, dawei!!“

Dabei merkte Jan, dass sein Magen-Darmtrakt rebellierte. Solche Angstpartien war der Verdauungsapparat nicht gewohnt. Er versuchte, die Erleichterung zu unterdrücken, aber es half alles nichts. Es ging in die Hose. 

Der Kassierer reichte ihm die Tüte vollgepfropft mit Scheinen zurück und Jan war mit wenigen Schritten wieder im Freien. Kaum eineinhalb Minuten waren vergangen. Er gab Werner ein Zeichen, das er gehen könne und machte einen kleinen Umweg  zu der Bank, auf der Dieter saß. Werner hatte immer mit dem Rücken zur Bank gestanden und ging nun einfach vorwärts zum Tor aus Schmiedeeisen am Friedhof . Den Umweg zu Dieter ließ er aus und ging grade auf den Eingang zum Friedhof mit dem Ziel Innenstadt. Inzwischen hatte Jan die Plastiktüte mit dem geraubten Geld, der Pistole und seinen Hut in die Aktentasche bei Dieter gesteckt und ging auch über den Friedhof nach Hause.

Als die Straßenbahn an der Haltestelle hielt, kam auch ein Polizeifahrzeug angefahren. Einige der Halbwüchsige fuhren mit BMX Rädern immer noch wild und mit Ratschen lärmend um das Rondell vor dem Friedhof und als die Polizei kam rasten sie wie auf der Flucht davon. Wahrscheinlich war nicht alles an ihren Rädern verkehrsgerecht.

Dieter stieg in die Bahn in Richtung Innenstadt und dann kam auch die andere Bahn aus Richtung Zentrum, deren Besatzung hier Pause machte.

Alles schien, als ob nichts geschehen wäre, aber dann hielt ein Streifenwagen vor der Bank und 2 Beamte stiegen eilig die Stufen in den Schalterraum hinauf. Der Kassierer stand immer noch ganz perplex hinter seiner Scheibe:

Haben Sie den Alarm ausgelöst?“ Einer der Beamten fragte dies an den Kassierer gewendet.

Der Autor dieser Warnmeldung hat wohl nicht alles verstanden….

Ja, stellen Sie sich vor: Diese Filiale sollte sowieso geschlossen werden. Sie hat keine modernen Sicherheitskriterien und der Eingang ist nicht behinderten gerecht. Und nun kommt noch kurz vor der Schließung so etwas. Ein Überfall! „

Pech gehabt“, meinte der Beamte, „die Kripo ist schon allarmiert. Können Sie uns einen Tipp geben. Haben Sie den oder die Täter erkannt, können sie ihn beschreiben oder einen von ihnen. Ist ihnen etwas Besonderes aufgefallen, dass wir uns schon mal auf dem Rückweg umschauen können.?“

„Es war nur ein Räuber. Ehrlich gesagt, ich habe vor Schreck gar nicht so genau auf den Kerl geschaut, nur auf die Pistole. Er war normal groß, vielleicht einen Meter und fünfundsiebzig oder eins achtzig. Er hatte einen Hut auf, weit ins Gesicht geschoben und mächtig breite Schultern. Vor dem Gesicht hatte er eine Strumpfmaske.“

Und was ist gestohlen worden, wie viel Geld hat er bekommen?“ Das wäre ja auch noch interessant zu wissen, meinte der Beamte.

Der Kassierer lächelte ein wenig: „ Ich habe nur die kleinen Scheine rausgegeben. Es waren Fünfer und Zehner, wenige Zwanziger. Das hat fast die ganze Plastiktüte gefüllt. Es kann aber nicht allzu viel gewesen sein. Als er sah, dass die Tüte voll war, hat er sie genommen und ist umgedreht und abgegangen.“ Nach einer kleinen Pause fügte er hinzu: „ Als er sich umdrehte roch es unangenehm, als sei er in einen Hundehaufen getreten. Darf ich den Geldtransporter anrufen, damit er später kommt, ich muss erst zählen, wieviel Verlust wir haben?“

Das gestatteten die Polizisten. Die Beamten nahmen das Gesprochene auf für spätere schriftliche Protokolle.  Dann ließen sie den Kassierer allein. Auf der Rückfahrt zur Wache schauten Sie nach einem muskulösen Menschen mit Hut. Sie konnten keinen finden.

Als bei der Kripo der Alarm von Wagen 3 der Polizeidienststelle einging schickte man ein Pärchen Kripo zum Friedhof in die Bank. Es waren dies KK Heinz Jensen und Aysha Uluyurt. Sie war eine tüchtige Kriminalbeamtin mit kurdischen Vorfahren. Daher der ungewöhnliche Name.

Heinz Jensen fragte den Kassierer als erstes nach seinem Namen und wie lange er denn bei dieser Bank beschäftigt sei. Die Kollegin stellte sich vor den Eingang, um den kompletten Bereich bis zur Ankunft der Spurensicherung abzusperren. Der Kassierer antwortete auf die Frage von Jensen:

Mein Name ist Peter Wagner. Gleich nach dem Abitur fing ich bei einer Bank eine Lehre an und wechselte ein einziges Mal zu dieser Ring-Bank. Es sind jetzt einunddreißig Jahre, die ich hier arbeite. Die letzten fünf Jahre bin ich Filialleiter an dieser Zweigstelle gewesen. Dass so etwas noch vor meiner Pensionierung passieren muss, hätte ich nie gedacht.“

Jensen, der sein Diktiergerät angeschaltet hatte, drückte auf Pause. Von außen hörte man eine erregte Unterhaltung. Frau Uluyurt sprach anscheinend mit einer Dame, die den Kassenraum betreten wollte.

Sie können hier leider nicht rein, es ist eine polizeiliche Untersuchung in Gang. Bitte benutzen sie eine andere Filiale.“

Das geht nicht,“ antwortete die andere Frau, „ich arbeite hier. Mein Name ist Edith Kernig. Mein Kollege dort ist Herr Wagner. Der kann das bestätigen.“

Jensen ging vor die Tür und sagte zu Frau Kernig indem er seinen Ausweis zeigte: „Bitte nehmen Sie einen Augenblick Platz drüben bei der Haltestelle. Wir beeilen uns wirklich, aber auch Sie möchten sicherlich wissen, welch Täter es war.“

Frau Kernig schaute verdutzt und auch ein wenig ängstlich: „Was ist passiert, wie geht es Peter?“

Ihrem Kollegen geht es gut. Es hat ein Raubüberfall stattgefunden.“ Jensen wendete sich wieder nach innen, um seine Befragung fortzusetzen. Nachdem er das Diktiergerät wieder eingeschaltet hatte bat er Peter Wagner, ihm den genauen Hergang zu schildern. Dieser fing auch sofort an.

Genau um fünf nach acht Uhr stand plötzlich ein Mann vor dem Schalter mit einer Pistole und sagte nur wei wei oder da da.“

Wieso wissen Sie die Uhrzeit so genau?“ fragte Jensen dazwischen.

Ich habe auf meine Kollegin gewartet, die Frau Kern, Edith, und dabei habe ich öfter auf die Uhr geschaut als sonst. Ich muss gestehen, ich war sehr erschrocken und als ich nicht gleich reagierte auf das dadaweiwei oder so, schlug der Täter mit seiner Pistole auf den Tresen und klopfte auch gegen die Scheibe. Er reichte mir eine Plastiktüte mit einem grünen Bild und drohte weiter mit der Pistole. Es war bestimmt keine Plastik- oder Spielpistole.“

Hat der Täter etwas angefasst hier im Raum. Die Tür geht ja leider automatisch.“ Jensen musste das noch einmal fragen. Währen der Kassierer die komplette Geschichte aus seiner Sicht erzählte, kamen 2 Leute von der Spurensicherung und fotografierten und suchten nach Textilfäden, Spuren von Schuhen oder sonst irgendetwas, was auf den Täter zurückzuführen wäre. Sie fanden leider nichts. So blieben Fotos vom Tatort die einzigen Unterlagen für die Ermittlungsakten.

Die Frau Edith Kernig wurde hereingerufen und Peter Wagner fragte als erstes, warum sie sich denn verspätet hätte.

Es war ein Unfall und Sperrung an der Kreuzung Stresemannstraße. Daher konnte ich nur zu Fuß über den Friedhof kommen. Tut mir leid.“ Einen zerknirschten Eindruck machte Frau Kernig aber nicht, eher sah es aus, als würde die Neugierde bei ihr überwiegen.

Jensen wandte sich noch einmal an den Kassierer und fragte: „Außer Maske und Hut, breite Schultern und die komischen Worte, ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen an dem Täter?“

Wagner dachte kurz nach, dann sagte er: „Wenn ich genau überlege, dann roch es so komisch beim Abgang des Mannes.“

Jensen, der grade wieder auf „Pause“ auf dem Diktiergerät drücken wollte, ließ es und fragte nach: „Können Sie den Geruch beschreiben, wonach könnte es gerochen haben?“

Es ist möglich, dass der Täter in einen Hundehaufen getreten war, aber ich habe nichts auf dem Fußboden sehen können. Ich habe das auch erst bemerkt, als er sich umgedreht hatte, um weg zu gehen. Und dann…“, er stockte in seiner Erzählung und fuhr nach einer kleine Pause fort: „Ich weiß ja nicht, ob es wichtig ist. Aber während der ganzen Zeit machten die Halbstarken auf ihren Fahrrädern Lärm auf der Straße.“

„Könnte das einer von denen gewesen sein? Wie alt schätzen Sie den Täter?“

„Das ist fast unmöglich zu beantworten. Sein Gesicht konnte ich nicht sehen und seine Stimme bei dem „Wei, wei“ klang eher leicht belegt. Er könnte Schnupfen gehabt haben.“

Na gut, schauen wir mal, ob das relevant sein könnte. Nun zu Ihnen Frau Kernig. Sie sind auch schon länger bei der Ring-Bank?“

Ja, ich arbeite schon drei Jahre mit Peter Wagner zusammen. Oder bei ihm in dieser Filiale“, verbesserte sie sich.

Haben Sie einen Mann mit Hut und Plastiktasche gesehen bei Ihrem Gang über den Friedhof“

Es kamen mir mehrere Männer entgehen und einer überholte mich auch in Richtung Bank. Keiner hatte einen Hut auf, entweder hatten sie keine Kopfbedeckung oder warten Sie, zwei hatten eine Kappe auf. So genau habe ich aber nicht darauf geachtet, weil ich ja möglichst wenig Zeit verlieren wollte, um zur Arbeit zu kommen. Es schien aber keiner besonders eilig zu haben, außer dem einen, der mich überholt hatte. “

Jensen meinte, er habe jetzt alles soweit eruiert und die Filiale könne wieder geöffnet werden; natürlich nachdem der Schaden genau beziffert worden ist. Zu Aysha gewandt meinte er: „Wir können ja noch einmal Passanten an der Haltestelle befragen, aber viel Hoffnung mach ich mir da auch nicht.“

Beide gingen hinüber zu der Haltestelle und dort standen ein älteres Paar und unterhielt sich in gedämpften Ton.

Guten Tag“, sagte Aysha, „Haben Sie etwas Besonderes gesehen, seit Sie hier stehen?“

Nein, ich nicht“, meinte der Herr, „was würde Sie denn interessieren?“

Jensen mischte sich ein: „Zum Beispiel Leute, die sich auffällig benehmen, wegfahrende Autos mit lautem Motor oder gar schlüpfenden Reifen.“

Ist dir sowas aufgefallen?“ fragte der Passant seine Gefährtin.

Nein“, antwortete diese an Aysha gewandt, „wir haben nur das Grab unserer Tochter besucht und geordnet. Wir waren die meiste Zeit auf dem Friedhof und sind grade eben erst hier angekommen.“

Jetzt  hielt eine Straßenbahn in Richtung Innenstadt und die Dame fügte noch hinzu: „Da kommt jetzt unseren Bahn. Tut uns leid, wenn wir Ihnen nicht helfen konnten. „ Dann stieg sie mit ihrem Begleiter in die Bahn.

Auf der Wache im Büro angekommen bekam Heinz Jensen noch einen Anruf. Der Techniker der Bank hatte die Videoüberwachung ausgewertet. Es sei wohl ein Einzeltäter gewesen. Man habe keine Aufnahmen von weiteren Leuten sehen können. Das entsprechende Band werde man morgen auf der Wache abgeben lassen. 

Tja, Aysha, außer Spesen nichts gewesen!“ Sagte Heiz Jensen resigniert. 

Es geht weiter. Hier Aber Hallo!