Jan sah mit seinem Colani richtig schick aus. Der Seesack auf dem Gepäckträger passte wunderbar in seine Kostümierung. Mit dem E-Bike fuhr er auf dem schmalen Trampelpfad durch die sogenannten Kitzelfichten auf den Fluss zu. Kitzelfichten nannten die jungen Leute das kleine Wäldchen, weil die Liebespaare im Sommer oft dort hingingen um sich gegenseitig zu kitzeln. Daran dachte Jan aber nur einen ganz kurzen Moment. Dann musste er am Poller vor der Brücke aufpassen. Er wollte nicht den gleichen Zusammenstoß wie der Dieter fabrizieren. Werner hatte ihm geraten, immer mit Volllicht zu fahren. Das würde Leute die ihm entgegen kamen blenden. Sie würden ihn dann nicht erkennen können. Außerdem sah er dann den Poller rechtzeitig. Auf der Brücke hielt er ganz kurz an und wollte die Handschuhe von Werner in den Fluss werfen. Es kamen aber vom anderen Ufer zwei Menschen ihm entgegen. Jan legte die Handschuhe auf das Geländer und tat als wolle er sich eine Zigarette anzünden. Als die beiden jungen Frauen vorbei waren gab er den Handschuhen einen Schubs und schon waren sie im Fluss verschwunden. Das gluckernde Wasser am Ufer verschluckte das Geräusch des Aufpralls der Handschuhe auf dem Wasser. Jan wünschte ihnen im Geiste viel Glück bei der Reise in die Nordsee. Die sind schon mal entsorgt, dachte er sich. Dann zog er aus einer Tasche seiner Jacke ein eigenes Paar Handschuhe und zog die nun an. Damit hatte er keine kalten Finger während der Fahrt nach Hause zu befürchten.
Auf der Fahrt durch die Stadt schaute er an beiden Seiten nach Mülleimern. Werner hatte ja geraten, den Rucksack in eine fremde Mülltonne zu entsorgen. Als Jan in die Gegend des Wikingerweges kam, standen dort noch einige geleerte Mülltonnen an der Straße. Heute am Freitag war Müllentsorgung der Restmülltonnen gewesen. Eine gute Gelegenheit, aber er konnte hier nicht einfach anhalten und an einen Mülleimer gehen, den öffnen und einen Rucksack hinein werfen. Dann kam ihm der Gedanke, den Parkplatz vom Kaufhaus Nesso anzusteuern. Dort wäre ja heute dann auch der Container auf dem Parkplatz geleert geworden. Dieser stand weit abseits vom Eingang und es verirrte sich kaum ein Mensch hierhin. Es musste ja immer genügend Platz gelassen werden, damit der Müllwagen so an den Container heranfahren konnte, dass keine Handarbeit beim Aufnehmen erforderlich war. Erleichtert fuhr Jan nach Haus und wollte den Seesack mit dem Geld schon in seinem Schrank verstecken, da fiel im ein, er könne ja das Geld noch einmal wiegen. Dann, so meinte er, könne er so ungefähr schätzen, wie viel der Job eingebracht habe. Er schüttete das Geld in eine Plastiktüte und tat diese auf die Küchenwaage, die noch aus seiner Zeit als glücklicher Ehemann übrig war. Es war zu viel Gewicht. Die Waage konnte nur bis 10 kg anzeigen. Jan teilte den Geldscheinhaufen auf und holte eine zweite Plastiktüte. Nun waren es einmal 5 kg und einmal fast 6 kg. Elf Kilo, dachte Jan, das ist mindestens einhundert Tausend Euro.
Jan grübelte noch eine Weile, was man damit alles anschaffen könnte. Aber die Gedanken kamen und gingen und er konnte keinen klaren Plan fassen. Er kochte sich einen schwarzen Tee und gab dann einen großen Schuss „Erkältungsrum“ hinein. Die Gedanken purzelten aber weiter in seinen Kopf, so dass er schließlich einfach zu Bett ging. Morgen würden Dieter und Werner kommen. Dann könnte man ausgiebig zählen und planen.
Am nächsten Morgen hatte Jan grade geduscht, da kam Dieter an die Tür. Jan zog schnell Unterhose und Jeans an und machte auf. Wie immer vermied Dieter jede Formalität von wegen Guten Morgen, gut geschlafen oder Ähnliches. Statt dessen platzte es aus ihm heraus: „Na, wie viel war es?“
„Guten Morgen Dieter. Wie geht es dir. Darf ich mir erst ein Hemd anziehen und mich kämmen?“
„Ja, kannst du“, sagte Dieter gnädig, „wie viel Geld war es denn? Du hast es doch sicher schon gezählt.“
„Gezählt habe ich es nicht, aber ich weiß, wie viel es ist!“ Jan grinste dabei verschmitzt.
Dieter blieb der Mund offen. „Wie, wie wie viel es ist?“
„Ja, es sind ziemlich 11 Kilo.“ Dieter sagte nichts und fragte auch nicht weiter. Er fühlte sich ein wenig auf den Arm genommen. Um die Sache nicht weiter zu eskalieren meine Jan: „Ich schätze bei dem Gewicht müssen es mindestens Hunderttausend sein.“
Dieter sagte eine ganze Weile gar nichts. Dann kam wie ein Stoßgebet aus ihm heraus: „Wir kaufen ein Auto!“
„Wollen wir nicht warten, bis wir alles genau gezählt haben? Ich habe mir gedacht, wir teilen den Haufen Scheine in 3 Portionen und jeder zählt eine. Also müssen wir noch warten, bis Werner kommt.“
Es klingelte an der Wohnungstür. „Das wird er sein.“ Aber da irrte Jan, es waren 2 Damen von den Zeugen Jehovas.
„Guten Morgen,“ begann die ältere der beiden, „wir möchten mit Ihnen über Gott sprechen.“
„Gut, wenn Sie ihn kennen, grüßen Sie ihn von mir.“ Jan sagte das so dahin ohne Spott oder Häme, weil er auf Werner wartete. Er wollte die Damen vor der Wohnungstür abfertigen. Vielleicht hatte er auch nicht bewusst mitbekommen, über wen die Frauen sprechen wollten.
„Für den Herrn sollte man sich aber mehr Zeit nehmen!“ Die ältere Dame wollte nicht locker lassen. „Es werden nur wenige in Jehovas Königreich kommen. Man muss etwas dafür tun und die Botschaft hören wollen.“
„Wenn Sie das sagen, dann kommen wohl nur die Zeugen Jehovas in das Königreich. Für uns bleibt dann sowieso kein Platz. Also was soll´s ? Ich erwarte übrigens Besuch und es wäre mir sehr lieb, wenn Sie jetzt die Tür freigeben würden.“ Jan bemühte sich um Höflichkeit aber wollte auch genau verstanden werden. So einfach war es aber nicht.
„Ich lasse Ihnen jetzt diese interessante Schrift da und bitte lesen Sie ab und zu darin. Vielleicht können wir uns einmal länger unterhalten. Ich werde für Sie beten.“
Jan wollte nicht ganz unfreundlich sein. Seine Antwort schien die Dame aber zu beleidigen. Er sagte: „Ja beten Sie für mich, und wenn es nichts kostet dann auch mehrmals.“
Während Jan dachte, dass er wohl Gebete gebrauchen könne bei seinem jetzigen Lebenswandel meinte die Dame, er wolle sie verspotten. Die beiden Frauen kehrten um und redeten leise miteinander auf dem Weg zum nächsten Opfer.
Jan ging zurück in die Wohnung, wo Dieter seine Ungeduld kaum verbergen konnte: „Können wir nicht schon anfangen zu zählen? Ich bin schon sehr neugierig.“
„Nein, wir warten bis Werner kommt. Schließlich war es sein Plan und da kann er wohl verlangen, dass er von Anfang an beim Zählen dabei ist. Irgendwann wird er ja wohl kommen. Vielleicht gibt er ja die Maske erst einmal ab.“
Da hatte Jan nicht ganz Unrecht.
Werner war tatsächlich wieder zum Theater geschlendert, am Kiosk vor bei und schaute interessiert in die Tageszeitungen. Er suchte nach „Raubüberfall“ oder eine andere eindeutige Schlagzeile. Er konnte keine finden, denn es war ja erst gestern gewesen und die Zeitung für heute war sicher schon im Druck gewesen. Dann ging er beruhigt weiter und bedankte sich noch einmal bei Else, als er die Maske wieder geben wollte. Else wollte sie aber nicht haben.
„Nee, die kannst du behalten. Du hast ja deinen Anteil an der Sitzung für Schminke und so gegeben. Hat es denn funktioniert?“
„Bestens“, bestätigte Werner, „wirklich aller bestens. Mein Freund bekam sogar Angst vor mir. Ich musste laut lachen. Er dachte, ich wolle ihm sein Fahrrad klauen.“
„Schön, und was machst du heute? Oder was macht ihr heute? Wie lange kennst du denn den Freund schon?“
Werner wollte auch nicht zu viel verraten. Deshalb redete er über Dieter. „Wir wohnen beide im Altersheim. Leider werde ich wohl bald allein da wohnen. Er hat Post von seinem Sohn aus Argentinien. Der zahlt ihm eine Wohnung in der Stadt. Dann muss ich dich wohl öfter besuchen, Else.“
„Du weißt ja, du bist immer willkommen.“
„Ich komme immer gerne zu dir, das weißt du doch. Morgen will erst einmal mit dem Kollegen zu seiner neuen Wohnung im Wikingerweg. Da kann er mich ja ein wenig neidisch machen. Ich habe keinen Sohn in Argentinien. Wie wäre es, wenn ich dich mal für Sonntag zum Essen beim Hähnchenwirt einladen würde?“
Else lächelte: „Da bin ich ja richtig geschmeichelt. In meinem Alter läd` mich noch jemand zum Essen ein. Kannst du dir das denn leisten?“
„Ich denke schon. Ein Ereignis mit dem Kollegen hat einiges geändert.“ Werner dachte bei sich: Das ist die reine Wahrheit. Sie glaubt sicher, dass ich von Dieter Geld bekomme für den Umzug oder irgend etwas in der Richtung.
Werner verabschiedete sich und ging zurück. Als er am Kiosk vorbeikam nahm er sich fest vor, am kommenden Tag eine Tageszeitung, den Stadtanzeiger, zu kaufen. Dort müsste dann ja etwas von der Sache am Baumarkt beschrieben worden sein.