14. Stremel: Die Sprache des Menschen

Die Sprache ist dem Menschen gegeben, um seine Gedanken zu verbergen. Das hat ein französischer Politiker einmal gesagt und die Leute streiten sich, wann und wo das war. Bei Werner geschah es, als er auf dem Weg zum großen Coup unterwegs war.

Der nächste Morgen im Altenheim fing ebenso langweilig für gewisse Bewohner an, wie jeder andere Morgen angefangen war: Wecken, Waschen, was essen. Www. So war das. Für die Pfleger und das andere Personal war es zwar auch Routine, aber nie langweilig. Einige Bewohner machten immer wieder Schwierigkeiten, andere waren stumpf und dement und wieder andere waren trotz Alter und einiger Behinderungen immer noch unternehmungslustig. Auch Werner war an diesem Tag unternehmungslustig. Wollte er doch wieder einmal ins Aladin Theater zu seiner Freundin Else. Er wollte einen Privatauftrag loswerden. Else sollte ihn so schminken, dass nicht einmal sein bester Freund ihn wieder erkennen würde. Ob ihr das gelänge, ob sie überhaupt Zeit hätte, ob er noch Material kaufen müsste, das alles wollte Werner erfragen. Er musste nach dem Frühstück nur noch ein wenig spazieren gehen. Dann würde er um 9 Uhr bei Fritz, dem Pförtner nachfragen, ob Else in ihrem Raum Maske mache.

Es war ein schöner Tag, nicht besonders heiß, aber trocken und mit wenig Luftbewegung.

Zunächst aber musste er mit Else einen Termin abmachen und so machte er sich auf am Kiosk vorbei zum Aladin. Er blieb stehen und sah sich die Schlagzeilen an. Danach meinte er, über die Weltlage ausreichend Bescheid zu wissen.  Das alles ging ihm durch den Kopf beim Blick auf die ausgehängten Zeitungen. Eine Zeitung wollte er sich nicht kaufen, so neugierig war er nun auch wieder nicht. Und außerdem tat ihm es ihm leid um jeden Baum der wegen des Papiers gefällt wurde. Schließlich schlenderte er gemütlich in Richtung Theater.

 

***

Wir überschlagen jetzt einmal zwei ereignislose Tage und beginnen mit dem Nachmittag des Freitags in dieser Woche. Jan wartete schon fix und fertig mit dem E-Bike, dass er im Flur abgestellt hatte. Der Akku war aufgeladen und Jan ging in seine Wohnung und schaute aus dem Fenster. Werner wollte ja heute kommen und dann sollte der Job im Baumarkt starten. Werner hatte gemeint, Freitags würden besonders viele Kunden Geld dort lassen, weil am Wochenende jede Menge Leute irgendwo zu Hause basteln oder Schwarzarbeit erledigen würden. Während er so in Gedanken auf den Gehweg starrte, kam ein Schwarzafrikaner an seinen Hauseingang und klingelte an seiner Wohnung. Jan schreckte aus seinen Gedanken auf. Ein Zeuge Jehovas sicherlich, dachte er, ich muss sehen, wie ich ihn loswerde, damit er Werner nicht sieht, wenn der inzwischen endlich kommt. Jan drückte den Knopf um  die Haustür zu öffnen und trat vor seine Wohnung. Der Afrikaner kam in den Flur und sagte kein Wort. Er kam die fünf Stufen zu Jans Wohnungstür hoch und schaute auf das E-Bike. Dann fragte er zu Jan gewandt: „Djambo, Bwana Jan, ich diese Rad kaufen?“

Jan erschrak. Wieso hatte der Mann Handschuhe an. So kalt war es doch noch nicht. Oder wollte er das Bike kaufen und gleich damit wegfahren, ohne Fingerabdrücke zu hinterlassen? Hatte er etwa vor, es zu stehlen und keine Spuren zu verbreiten? Wollte er Jan vielleicht einfach umbringen und dann wegfahren? Woher kannte der seinen Namen. Jans Gedanken überhitzten und erst nach einer Minute sagte sein Gehirn zu ihm: Irgendwie kommt dir die Stimme doch bekannt vor.

Plötzlich fing der schwarze Mann zu lachen an: „Mensch Jan, wenn du mich nicht erkennst, dann hat Else aber ganze Arbeit geleistet.“ Wie eine Epiphanie kam Jan die Erkenntnis: Es war Werner, der als Afrikaner verkleidet war. Er hatte einfach eine Kopfmaske als indigener Schwarzafrikaner über gezogen bekommen und die Handschuhe sollten seine weißen Hände verbergen. Jan wollte seine Hand ausstrecken und das Gesicht befühlen, doch Werner wehrte ab. „Nee, das lass mal lieber, weil Else sich solche Mühe gegeben hat und schließlich haben wir das ja nicht getan, damit ich dich verblüffen kann. Die Maske ist unsere Tarnkappe. Nun fahr mal mit dem Bike los, ich nehme von der nächsten Haltestelle in der Budapester Allee den Bus. Sei pünktlich ab halb fünf in den Büschen neben dem Weg. Damit du mich erkennst pfeife ich die Melodie von Lilli Marleen. Das kennen die jungen Leute heute nicht mehr und es wird kaum ein zweiter grade heute und grade dort das alte Lied pfeifen.“

OK, aber weiß der Dieter denn, wie du aussiehst?“

Werner lächelte verschmitzt: „Der weiß Bescheid. Er wollte unbedingt schon vorgehen und sich ein Versteck an der Rückfront des Baumarktes suchen. Ich hab dir noch einen alten Blazer aus dem Fundus mitgebracht. Der sollte ausgemustert werden, weil er schon so schäbig und abgerissen aussieht. Das passt aber gut für dich und den Seesack, mit dem du dann hoffentlich viel Geld nach Hause bringst.“

Jan setzte wieder seine Bedenken-Miene auf: „Mensch Werner, ob das alles richtig ist, was wir hier machen? Weiß deine Else überhaupt, was wir mit der Verkleidung wollen?“

Du mit deinen Bedenken.  Else weiß natürlich nichts. Ich glaube sie würde das dann nicht machen; aber unser Ziel war, lange genug im Knast zu bleiben, damit wir keine Sorgen mehr mit Geld haben werden und trotzdem warm und trocken wohnen mit täglichen Mahlzeiten. Haben wir das Ziel erreicht? Nein, also machen wir weiter!“ Bei diesen Worten holte Werner aus dem mitgebrachten Seesack einen Colani aus bestem Wollstoff mit goldfarbenen Knöpfen. Auf jedem metallenen Knopf war ein Anker zu erkennen. Allerdings bei näherem Hinsehen sah man schon einige abgeschabte Stellen an den Ärmelenden. Auch auf dem einen oder anderen Knopf befanden sich kleine Grünspanpickel wie sie oft auf ungepflegtem Messing zu sehen sind.  „Damit wirst du auf dem Bike auch nicht frieren“ fügte Werner seinen Ausführungen hinzu.

Als Jan sich angekleidet hatte lud er Werner noch zu einem schnellen Daumenbreit Wodka ein. „So ein edles Jackett habe ich nie besessen. Darauf steht aber jetzt ein Daumenbreit.“ Werner stimmte auch zu, aber wollte hinterher ausreichend Wasser trinken. Jan wollte mit dem Alkohol sein Verdauungsproblem kompensieren. Es trat immer dann auf, wenn er Aufregungen oder plötzlichen Ereignissen ausgesetzt war. Schließlich machte er sich mit dem Fahrrad auf den Weg zum Baumarkt. Werner ging die kleine Strecke zur nächsten Bushaltestelle und konnte zufällig gleich einsteigen, denn der Bus kam zu gleichen Zeit an die Haltestelle in der Budapester Allee wie er selbst auch.

Nachdem er eine Fahrkarte bezahlt hatte, setzte er sich in eine leere Sitzreihe und sah weitere Leute einsteigen. Eine Frau im kanonischen Alter setzte sich hinter Jan und lamentierte zu ihrem Begleiter: „Nun sitzen bei uns schon Afrikaner in den Bussen. Neulich hab` ich sogar eine Frau gesehen im Kramladen bei Petscher. Wo kommen die alle her und was machen die hier bei uns.“

Ihr Begleiter murmelte so etwas wie: „Nu lass mal gut sein…“ Werner drehte sich um und sah die Frau an. Dann meinte er mit original Brandenburger Dialekt: „Pass ma uff, wat de saachst, von wejen Afrikana. Icke bin Berlina und jehe eine ehrliche Beschäftijunk nach. Wenn de Rente kriechst, denn lebste wahrscheinlich jut von meine Steuern, die ick immer abjezojen krieje. Also pass uff, dat de dir nich an mir klemmen tust! Meene Linke riecht nach Klinik, meene Rechte nach Friedhof, wa…“

Die unmittelbaren Sitznachbarn im Bus schauten alle herüber oder drehten sich um, wenn sie vor der Szene saßen. Das war der Frau richtig peinlich und ihrem Begleiter noch viel mehr. Einmischen wollte sich aber anscheinend keiner. An der nächsten Haltestelle stieg die Frau jedoch aus, nachdem sie ihren Mann davon überzeugt hatte, dass das nun besser für beide sei.

Am Baumarkt angekommen ging Werner zunächst auf die öffentliche Toilette und schaute nach, ob dort ein Mensch als Aufpasser und Kassierer beschäftigt war. Es gab keinen, der Nutzer der Toilette wurde per Automat abkassiert, jedenfalls soweit es der Besuch einer Kabine betraf. Hände waschen war um sonst. Das war wichtig zu wissen, denn hier wollte Werner sich nach getaner Arbeit abschminken, bzw. demaskieren.

Nachdem er noch einmal auf die Uhr geschaut hatte, ging er forsch in den Baumarkt und nun ging alles wie geplant. Beim der Forderung nach Geld machte er aber einen französischen Dialekt nach. In seinem gebrochenen Deutsch flocht er hin und wieder französische Brocken wie: „Je suis presse“ oder „depechez vous!“ Gerne wieder holte er auch: „Dans le sac a dos“ oder machen Sie schnell. „Mais faites vite!“ Dazwischen machte der Dieter von Außen tatsächlich mit seinem Laserpointer die richtigen Bewegungen. Er zielte zwar wahllos in die beiden Fenster, aber wenn man im Kopf den Gedanken an ein Zielfernrohr hat, dann sieht das alles nicht mehr so harmlos aus.

Als alle Scheine aus dem Tresor in den Rucksack gestopft waren, verabschiedete sich Werner stilgerecht mit: „Avec Dieu!“  – Dann ging er als Afrikaner aus dem Markt und verschwand wenig beachtet in den Büschen wo der Weg an den Fluss begann. Er suchte eine Platz, wo man ihn weder vom Parkplatz noch vom Weg her sehen konnte und pfiff dann deutlich die vereinbarte Melodie. Sekunden später trat Jan in seinem Colani aus den Büschen und beide packten hastig die Geldscheine vom Rucksack in den Seesack. Dort passte aber noch mehr rein und so fragte Jan provokant: „Ist das alles, das sind ja höchstens 20 Pfund?“ Werner grinste: „Aber alles Scheine! Ich denke, es ist etwas mehr als bei deinem Abenteuer.

Hier, nimm noch meine Handschuhe,  packe in jeden einen Stein und wirf sie bei der Brücke in den Fluss! Mein Weg geht jetzt ins Klo, wo ich mich abschminke. Viel Glück bei der Heimfahrt und morgen kommen Dieter und ich  zählen.

 

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