7. Stremel, der verflixte

 

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An was denkst du denn?“ Werner wollte wissen, wie er den Freund denn ein wenig aufmuntern könnte.

Jan dachte etwas nach, um seine Gedanken genau formulieren zu können. Dann stellte er ohne Pathos oder Resignation eine Frage, die die anderen beiden sehr verwunderte: „Sind wir jetzt Außenseiter der Gesellschaft, Schädlinge, Schmarotzer? Trotz der geringen Beute haben wir doch irgend jemand etwas weggenommen!“

Dieter schaute ganz verblüfft. Er wusste nicht, ob er darauf antworten sollte. Ja, sie hatten irgendjemand etwas weggenommen, aber wem? Das Geld gehörte ja wahrscheinlich nicht der Bank, die sie überfallen hatten, sondern irgendwelchen Leuten, die die drei nicht einmal kennen konnten. Die Bank würde das Geld aber wahrscheinlich ersetzen müssen und das wiederum eine Versicherung, wenn die Ring-Bank denn versichert sein sollte.

Werner brauchte nicht lange überlegen: „Ganz zu Anfang der Menschheitsgeschichte hatte kein Individuum persönlichen Besitz, der nicht auch der Allgemeinheit, dem ganzen Stamm dienen konnte. Außer seiner Kleidung oder vielleicht einem Amulett gehörte alles allen Stammesmitgliedern. In der Regel waren es auch alle Verwandte. Es gibt Eingeborene in Südamerika und Afrika, die heute noch so leben. – Bei uns ist noch ein Artikel im Grundgesetz davon übrig geblieben: Eigentum verpflichtet, es soll gleichzeitig dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Niemand handelt danach.

Im Altertum ohne Sozialwesen oder Hartz IV war der Diebstahl oder Trickbetrug gängige Praxis um überhaupt überleben zu können. So ist der griechische Gott Hermes auch Gott der Diebe, nicht nur Götterbote oder Gott des Kaufmannes. Schaut euch um im Handel und der Politik. Es gibt heute Hermes-Bürgschaften der Regierung. Denkt euch `was dabei. Also ich habe überhaupt keine Gewissensbisse.“

Sollen wir denn jetzt einfach so weitermachen bis wir genug Geld oder Gefängnis zusammen haben?“ Jan schaute die anderen beiden nacheinander an als er das fragte.

Was können wir sonst tun!“ Dieter stellte das nicht als Frage, sondern als Fazit.

Jan wurde sehr nachdenklich: „Wozu denn der ganze Aufwand mit Bundestag, Regierung, Polizei und Presse. Es muss doch einen Grund geben, dass das Eigentum mit dem Individuum verknüpft wird.“

Werner schien in seinem Element zu sein, wenn es um Politik ging: „Was meint ihr, warum wir in Deutschland keine Volksabstimmungen haben? Der einzige Grund sind die Lobbyisten, die im Auftrag der Konzerne den Abgeordneten die Gesetzestexte `nahe legen`. Die große Mehrheit der Abgeordneten des deutschen Bundestages sind Juristen.  In der Schweiz funktioniert es schon hundert Jahre mit der Stimme des Volkes. Aber deutsche Regierungen achten sorgfältig darauf, dass gute Beispiele aus dem Ausland nicht übernommen werden. Eine ganze Weile war das Wort Volksvertreter umgangssprachlich abgeändert in VolksWAGENvertreter, nicht ohne Grund. “

Während der Unterhaltung wurden immer wieder „Daumenbreiten“ vom Schnaps entnommen. Schließlich war die Flasche Korn am Ende. Dieter kam auf die Idee, eine weitere im nahen Supermarkt zu besorgen. Wegen seines Handicaps am linken Knöchel mochte er aber nicht losgehen. Jan meldete sich wieder freiwillig: „Ich gehe eben schnell mal in die Budapester Alle. Bin gleich zurück. Gebt mir mal einen Zwanziger von den Scheinen.“

Halt mal, wir müssen ja Werner noch seine Einlage zurückzahlen. Der Rest ist dann erst Eigentum der Gemeinschaft!“, gab Dieter zu bedenken.

Nachdem auch das geregelt war, machte sich Jan auf den Weg. Es waren viele Leute auf der Straße, aber er verschwendete keinen Gedanken daran, dass er etwa schon von der Polizei gesucht werden würde. Das konnte ihm keine Angst einjagen, denn inzwischen hatte er ja auch drei oder vier Schnäpse intus.

Im Supermarkt griff er sich schnell eine neue Flasche und ging zurück an die Kasse. Dort stand eine Schlange von Hausfrauen mit vollen Einkaufswagen. Jan hörte die Kassiererinnen immer den geforderten Betrag ansagen. Im Stillen rechnete er die Summen zusammen. In den zehn Minuten die er warten musste waren sieben hundert Euro nur an dieser einen Kasse eingenommen worden. Hier einmal eine Pistole vorzuzeigen würde sich eher lohnen dachte Jan. Dann machte er die erste Anschaffung mit dem geraubten Geld indem er das klare Getränk bezahlte. Als er den Preis hörte merkte er, dass er statt Korn Wodka erwischt hatte. Egal, dachte er. Die Freunde werden auch das trinken.

In seiner Wohnung angekommen, wurde der Wodka mit großem Hallo begrüßt: „Jetzt bist du dir wohl zu schade, um bei Korn zu bleiben? Oder hast du uns etwas Besseres gegönnt?“ Werner konnte sich nicht zurückhalten mit einem kleinen Spott.

Ich habe mich einfach vergriffen!“, antwortete Jan.

Hört, hört: Er hat sich im Schnaps vergriffen.“

Jan wollte über seine Beobachtung an der Kasse berichten, doch Dieter fiel ihm ins Wort: „Jetzt aber erst einmal einen Daumenbreit in jede Tasse.“ Das wurde mit großer Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt ausgeführt, denn allmählich begannen die motorischen Fähigkeiten der Gesellen zu leiden.

Nun erzähl doch mal, was hast du gesehen?“ Werner schien noch alle Gedanken gut beieinander zu haben. Vielleicht war er den Alkohol besser gewöhnt. Er war oft zu Premieren Feiern eingeladen worden. Dort konnte man schön „üben“ in der Kunst des Trinkens alkoholischer Getränke.

Dann begann Jan seine Schilderung: „Ich griff mir also eine Flasche mit klarem Schnaps“ – „Ja mit Wodka, das wissen wir ja!“ warf Dieter ungeduldig dazwischen.

…und wollte schnell zurück an die Kasse“, fuhr Jan unbeirrt fort, „doch es standen schon mindestens 10 Leute mit vollem Einkaufswagen vor mir. An den anderen Kassen sah es ähnlich aus.“

Gelangweilt meinte Dieter: „ Ja und, das passiert mir auch oft genug.“

Lass ihn doch mal ausreden, da kommt bestimmt noch der Punkt!“ Werner schien etwas zu ahnen.

In den 10 Minuten wurden an nur dieser einen Kasse sieben hundert Euro eingenommen.“ Jan beendete seine Schilderung. Dieter konnte damit nichts anfangen. Bei Werner dämmerte es. Dieter kam ihm aber zuvor: „Also ich weiß nicht, was uns das interessieren kann…“ Sein Gesichtsausdruck unterstrich diese Aussage.

Werner fragte nach: „Und du sagst, es waren fünf gleichlange Schlangen während deiner 10 Minuten?“

Genau, und nach Adam Riese und Jan Daballer hat der Supermarkt in 10 Minuten 3500 Euro Umsatz gemacht. Und der Markt hat vom acht Uhr morgens bis zwanzig Uhr abends offen.“

Es wird aber nicht immer so voll sein dort. Zur Mittagszeit oder wenn viele Leute Abendbrot essen, dann ist sicher nicht so viel los.“

Dieter wusste immer noch nicht, was diese Unterhaltung bezwecken sollte. Schließlich erbarmte sich Werner und sagte nur: „Da würde es sich mehr lohnen, die Pistole vorzuzeigen…“

Auf einmal wurde es sehr still. Jeder hing anderen Gedanken nach. Dieter dachte, wir brauchen ja nicht mehr viel Geld, wir können uns immer wieder eine Flasche Schnaps kaufen. Wenn wir einmal in der Woche 20 Euro ausgeben, dann sind das bei 1000 Euro schon 50 Wochen und bei 1500, die wir noch haben sind es über ein Jahr.

Jan überlegt, dass er auf keinen Fall mit seinem empfindlichen Verdauungsorganen dort hinein spazieren würde. Und wen sollte er dann ausrauben. Wenn er einen Kassierer oder eine Kassiererin angehen würde, würden alle anderen Alarm geben und die Polizei rufen. Also da müsste schon ein ausgeklügelter Plan her. Wer sollte den aber entwerfen.

Werner, der schon viele Theaterstücke gesehen hatte und auch manche Literatur über solche Themen gelesen hatte machte sich ganz andere Gedanken. Er überlegte, wo ein Stück, ein Film oder eine Geschichte ein ähnliches Thema gehabt hatte. Natürlich konnte man die fiktiven Ereignisse nicht eins zu eins umsetzen, aber daraus lernen sollte immerhin möglich sein. Dann sagte er laut in die Runde:

Lasst uns erst einmal ausschlafen und nüchtern sein. Dann können wir darüber reden, ob wir überhaupt noch etwas machen wollen. Das war ein Vorschlag, dem jeder zustimmen konnte. Tags darauf wollte man sich wieder hier treffen. An diesem Abend fuhren Dieter und Werner mit Taxi zurück ins Altersheim.

Am kommenden Morgen machte sich Jan die Mühe, vom Bäcker in der Moltke-Straße zwei frische Brötchen zu holen. Er brühte sich einen großen Becher Sofort – Kaffee auf setzte sich mit einem Glas Marmelade, etwas Butter an seinen Tisch und spielte „Hotel-Frühstück“. Das genoss er ausgiebig und dachte dabei an bessere Zeiten. Auf seinen Montagereisen war er immer gewohnt, dass man sein Frühstück auf dem Tisch hatte oder es vom Buffet abholen konnte. Ja, so ändern sich die Zeiten. So richtig hatte er sich nie vorgestellt oder ausgemalt, wie es wohl im Alter sein könnte, welche Einschränkungen es gäbe und auf was er alles zwangsweise verzichten würde. Er hatte geahnt, dass nicht alles so bleiben würde, wie er es gewohnt war. Selbst als seine Frau ihn verlassen wollte, weil er so selten zu Hause war konnte er sich so einen Alltag nicht vorstellen. Was würde jetzt weiterhin geschehen? Sollten sie tatsächlich den nächsten Raub vorbereiten und ausführen? Ist es so wie mit Rauschmitteln; wer einmal angefangen hat, kann nicht mehr aufhören?. Man erzählt ja sogar von Spielsucht. Leute verspielen Haus und Hof nur wegen des Nervenkitzels. Düstere Aussichten.

Jan schaute schon mal in seinen Kühlschrank, was er denn heute zum Mittag aufmachen könne. Da lag noch ein Fertiggericht, eine Plastikschale mit Folie überzogen. Die sollte man mit der Gabel einstechen und dann könne man alles in der Mikrowelle wärmen. Ravioli stand auf der Verpackung. Na denn, dachte Jan, vielleicht kann ich nach dem Mittag perfekt italienisch. Er nahm sich die Tageszeitung von gestern, die er von einem Mitbewohner bekam, wenn der sie gelesen hatte und in den Müll werfen wollte. 

In der Zeitung stand ein großer Artikel über eine Pflegerin, die in Pflegeheimen Patienten getötet hatte, weil ihr der Stress zu viel wurde. Hoffentlich lesen das die beiden Freunde nicht, dachte Jan, aber vielleicht würde das Heim diese Ausgabe verschwinden lassen, um nicht alle Insassen zu beunruhigen. Jan erinnerte sich an einen Pfleger, der Patienten ein Medikament spritzte, damit sie ins Koma fielen und er sie dann mit einem Gegenmittel rettete. Damit wollte er als Held da stehen. Jan dachte sich, auch diese Sache nicht bei den Freunden zu erwähnen.

Es kam aber noch viel schlimmer. Darüber mehr, wenn am Nachmittag die zwei eintrudeln. Heute sollte es aber keinen Wodka geben, das nahm Jan sich vor.

Unglaubliche Gerüchte machten die Runde in Stremel 8

8. Stremel: Latrinengerüchte und ein neuer Plan