2. Stremel: Schweine-Erwin
Jan hatte vom Dieter und vom Werner je 3,50 Euro bekommen und wenn er von sich aus den gleichen Anteil dabei legte, hatte er 10, 50 Euro zum Verzehr in der Spelunke. Er hoffte inständig, dass er den „Schweine-Erwin“ treffen würde, dessen richtigen Namen er nicht kannte, aber er wusste aus seiner Werft zeit, dass dieser Mensch noch keinen Handschlag ehrliche Arbeit im Leben geleistet hatte, ähnlich wie manche Prominenten aus der Zeitung. Wovon Schweine-Erwin eigentlich lebte, konnte oder wollte niemand so genau sagen, aber ab und an ging er auf Staatskosten in „Urlaub“ und da würde er bestimmt die richtige Auskunftsquelle für Jan und seine Freunde sein.
Kurz nach 14 Uhr war Jan in der Kneipe weil er die Schichtzeiten der Schauerleute und anderer Hafenarbeiter kannte, und tatsächlich war Leben und Trubel in der Bude. Es stank wie immer nach Bier, Rauch, Schweiß und ein wenig auch nach Erbrochenem und in einer Ecke, die wohl schon seit 15 Jahren sein Stammplatz war, saß der Schweine-Erwin, eine massige Gestalt mit einem Gesichtsausdruck, der bei einem Fremden unhöfliche oder laute Schimpfworte im Keim ersticken würde.
Jan sah, dass auch Schweine-Erwin älter geworden war und sein Gesicht war gezeichnet mit tiefen Kerben und Falten. Jan konnte nicht deuten, ob es sich um Spuren von Trauer und Verbitterung handelte oder ob es Brutalität und Skrupellosigkeit, Hinterhältigkeit waren. Vielleicht war es auch nur ein Magengeschwür.
Der Erwin, wenn er denn so heißen sollte, erkannte Jan und dieser fragte nach einem „Moin, Erwin, was machst Du den so?“ gleich mal ob der Erwin ihm denn mit einer kleinen Auskunft helfen könne.
„Mach schon das Maul auf und sag, was du willst!“ meinte Schweine-Erwin freundlich. Eine solide Bierfahne strömte mit den Worten aus seiner Richtung dem Jan entgegen.
„Ja, weißt du“, fing Jan vorsichtig an, „manche Leute erzählen über dich…“. Eine kleine Pause entstand.
„Na, was erzählen die über mich, spuck es endlich aus!“ Erwin schien die Geduld zu verlieren. Jan fasste allem Mut zusammen und brachte mühsam einen Satz heraus: “ Manche denken, du kennst dich auch hinter dicken Mauern aus.“
„Na und? Du kannst ruhig lauter sprechen. Bin stolz drauf.“ Beleidigt schien Erwin auf keinen Fall zu sein. „Musst Du denn auch bald rein? Hast` was ausgefressen?“
Jan fiel ein Stein vom Herzen. Hier würde er erfahren, was er brauchte.
“ Nee, weißt, du, ich habe 2 Kumpels aus dem Altersheim und wir wollten mal mit ´nem kleinen Bruch was dazuverdienen. Is schon `n tristes Leben so ohne Geld. Kannst gerne mitmachen, wenn du willst.“
Erwin zog die Augenbrauen hoch. “ Ich mach schon lange keine Brüche mehr, und Ihr seid doch viel zu alt, und ihr seid auch zu doof. Einen Bruch kann nur machen, wer 3 mal erwischt worden ist und mindestens 4 Jahre gesessen hat. Denn im Knast lernt man am meisten. Eventuell ginge für euch noch `n kleiner Bankraub. Habt ihr denn Kanonen? Könnt ihr was investieren? Und was ist, wenn man Euch schnappt?“
Die Antwort von Jan verblüffte Schweine-Erwin total . „Das wollen wir doch grade, damit wir den täglich Krampf um Miete und Essen, Heizung, Medizin endlich für immer los sind. “ Wenn Schweine – Erwin nach allem was er erlebt hatte noch einen Gesichtsausdruck des ungläubigen Staunens hervorbringen konnte, dann hatte er es jetzt vollbracht.
„Ihr seid völlig bekloppt!“ entfuhr es Schweine-Erwin, unterlegt mit einer besonders durchdringenden Bierfahne. Dann antwortete er bereitwillig auf Jans diesbezügliche Fragen: „Wasser und Brot als Vollnahrung gibt es schon lange nicht mehr im Kittchen“, meinte Erwin, “ und je nach Laune der Anstaltsleitung kann man Zeitung lesen, Bücher ausleihen oder gar Fernsehen beantragen“.
Wobei in den Anstalten oft ein Gemeinschaftsraum zum Fernsehen war und man müsse sich mit den anderen Insassen auf das Programm einigen.
Ansonsten könne bei guter Führung auch mit Freigang rechnen oder andere kleine Vergünstigungen bekommen. Ärztliche Versorgung gebe es auch, aber halt nur „Karo Einfach“ wie heute bei den Rentnern der Krankenkassen. Wer einen Gottesdienst besuchen wolle, könne jeden Sonntag singen: Bis hierher hat mich Gott gebracht in seiner großen Güte….“Bin selbst nie hingegangen, aber mein Zellenkumpan hat mir `s erzählt.“
Jans Unterhaltung mit Schweine-Erwin erwies sich als äußerst informativ. Er erfuhr nicht nur vieles über das Leben in verschiedenen Gefängnissen, ihm wurde auch abgeraten, einen Einbruch in eine Tankstelle, Bank oder einen Kiosk zu begehen. „Dort ist nicht viel zu holen und schließlich seid Ihr viel zu alt, um noch solche körperlichen Anstrengungen auf euch nehmen zu können!“
Dann gab es noch den kostenlosen Tipp, für einen Bankraub die Waffen zu besorgen : „Wenn ihr ne Kanone braucht riecht mal in „Zum goldenen Schellfisch“ rein. Dort fragts Du nach Fiete, der ist zwar Rumäne und heißt ganz anders, aber weil er plattdeutsch kann, nennen ihn alle Fiete . Sag ihm, dass der Schweine-Erwin dich schickt. Sonst kriegst du nichts oder viel zu teuer.“ Dann würde er anständige Preise für seine Bewaffnung bekommen. „Der Fiete ist nämlich ein Schlitzohr, der bescheißt jeden nach Strich und Faden.“
„Den Goldenen Schellfisch kenne ich. Die Wirtin war damals Dorothea. Wann ist der Fiete denn immer dort?“, wollte Jan wissen.
„So, so, die Wirtin war Dorothea?“ Erwin hob die Augenbrauen. – “ Doro ist immer noch Wirtin da. Wenn der goldene Schellfisch um drei aufschließt, bleibt Fiete bis ein Uhr nachts. Er wickelt dort seine kompletten Geschäfte ab. Nicht nur Ballermänner, ab und an auch Stoff oder anderes Zeugs. Gültige Papiere und so…Egal, was du brauchst: Reisepass Zypern, Führerschein Ukraine, Kontoauszug Malediven über 5 Millionen US Dollar, er besorgt einfach alles. „
Erwin war richtig in Fahrt und kam mit einer ganz anderen „Geschäftsidee“ heraus:
“ Ich bin jetzt nämlich hauptsächlich im Wodka Geschäft. Du kannst im Abschiebebahnhof (Altersheim) für mich in Kommission verkaufen oder für meine Qualitätserzeugnisse werben. „
Jan schaute verdutzt. Wodka? Woher hatte Schweine-Erwin so viel Wodka? Aber der hörte gar nicht mehr auf: „Ich geb` dir jetzt `ne Literflasche zur Probe mit. Umsonst! Die super Ware bekommst du von mir für 4 Euro den Liter. Wirst du glatt für 10 Euro los. Mehr als die 6 % kann ich dir aber nicht geben.“
Als Jan über diese Berechnung sehr skeptisch dreinschaute setzte Erwin noch einen Nachsatz, um Jan vollends zu überzeugen: „Das ist ein Jahrhundertgeschäft, ohne Risiko und fast ehrlich. Wird in einer sauberen Destille in Bulgarien gebrannt. Und dann solltet ihr noch bedenken, wenn einer geschnappt wird und den Fiete verrät, der ist ein toter Mann. Die Wodka – Geschichte ist dagegen harmlos. Der Staat ist der einzige, der geschädigt wird; und der hat ja auch dich geschädigt.“
Mit vielen Dankeschöns nahm Jan die Flasche hochprozentigen Wodkas und eilte nach Hause. Nicht einmal das komplette Bewegungsgeld von 10,50 Euro hatte er gebraucht, denn sein Bier kostete nur 3 Euro 20 und der Schweine-Erwin hatte noch eine Runde geschmissen, wobei er auf gute Zusammenarbeit anstoßen wollte.
Das konnten jedoch wohl noch nicht alle Informationen sein, die man für so ein kompliziertes Vorhaben wie einen Bankraub braucht.
Trotzdem war es eine unglaublichen Fülle von Erkenntnissen mit der Jan aus der „Ankerwinde“ gekommen war, und kaum konnte er das Zusammentreffen mit den Kollegen abwarten, damit er alles brühwarm erzählen könne. Außerdem musste er auch immer noch über Schweine-Erwins Wodkageschäft nachdenken. Wenn sie nur eine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse wollten, dann genügte ja ein ständiges ausreichendes Einkommen, wozu dann noch Bankraub? Die Freunde hatten vereinbart, dass sie sich nun entweder auf einer einsamen Stelle im Stadtpark treffen würden, oder bei Jan in der Wohnung, denn nicht jeder musste unbedingt mitbekommen, was die Opas beredeten. Beim schönen Wetter am nächsten Tag saßen sie nun im Stadtpark und genehmigten sich nach langer Zeit einen Schluck aus der geschenkten Wodkaflasche, die sie wohlweislich vor anderen Besuchern des Parks in einer Aktentasche versteckt hielten. Jan eröffnete die Diskussion:
„Der Schweine-Erwin meinte, im Knast ist es so ähnlich wie im Altersheim. Nur da bekommt man überhaupt kein Geld in die Hand, kann höchstens ein paar Cent verdienen und davon Bonbon oder Tabak kaufen.“ „Und Wodka?“ fragte Werner. „Wodka gibt es im Gefängnis nicht. Jedenfalls kann man ihn nicht kaufen. Der Erwin hat eine tolle Geschichte über selbst gebranntes Zeug erzählt, aber ganz bin ich da nicht hinter gestiegen. „
Dieter meinte: “ Wir haben doch auch schon mal Wodka getrunken. Ist es sowas? War doch gar nicht schlecht.“
“ Ja“ , meinte Jan, “ das sind die Etiketten von der russischen Standard – Marke. Die kleben Erwin und seine Kumpane auf selbst gebrannten Kartoffelschnaps. Den sollen wir dann im Altersheim weiter verkaufen.“
Zweifelnd meinte Werner: “ Ich kann mir nicht vorstellen, dass das klappt. Wir sind bei uns im Altersheim vielleicht 10 Männer, die einen Schluck vertragen würden. Vier liegen ständig im Bett. Von den 30 alten Frauen werden eine oder zwei auch mal Alkohol trinken. Wenn wir aber viel verkaufen wollten, müssten wir auch andere Altersheime, wie z. B. in der Rabenbergstraße abklappern. Wie sollen wir aber so viele Flaschen schleppen? Woher sollen die anderen Bewohnenden das Geld für Schnaps nehmen. Und die Flaschen müssen sie ja wohl vor der Heimleitung verstecken. Denn den anderen Bewohnern geht es nicht viel besser als uns.“
Je länger aber Jan über die Bedingungen im Gefängnis und über den Waffenhändler erzählte, desto mehr verwarfen sie das Wodkageschäft. Werner meinte druckreif: „Unsere zu erwartenden Strafen beim Verkauf von illegal gebranntem Wodka würde wohl nicht für eine staatliche Versorgung bis ans Lebensende ausreichen. Wir würden einfach nur zu kurzen Haftstrafen verurteilt. „
“ Du hast ja recht. Wenn wir dann wieder rauskommen, dann sind wir schlechter dran als vorher. Dann bekommen wir nicht einmal eine Mietwohnung und können auf der Straße kampieren. „
Das gab Jan zu bedenken und Dieter nickte vielsagend um dann den einzig gangbaren Vorschlag zu präsentieren.
„Wir müssen eine Bank überfallen. Mit Bewaffnung. Das hilft alles nichts.“
Nach dem zweiten oder dritten Schluck Wodka schienen ihre Pläne greifbar nahe, vielleicht sogar einfach. Es konnte doch nicht so schwer sein, in die Bank hineinzugehen, alles Bargeld zu fordern und wieder hinauszugehen. Man müsse halt nur die richtige Bewaffnung dabei haben, solche, die auch Eindruck schinden würde.
Einige Male kam auch die Rede auf die gegenwärtigen Lebensbedingungen. War es wirklich mit dem Strafvollzug vergleichbar, was sie heute in Deutschland erleben mussten? Werner meinte aber vom Theater her zu wissen, dass es auch in der Vergangenheit oft Bestrebungen von unterprivilegierten Personen gegeben hatte, wenigstens im Winter ein warmes Quartier zu haben, indem man ins Gefängnis ging. Er erinnerte an einen Film mit dem Titel: Im Kittchen ist kein Zimmer frei.
Warum sollte diese Methode nicht auch für ein bequemes Lebensende funktionieren? Schließlich sei es Generationen von Bankräubern gelungen, warum grade ihnen nicht. Die einzige Hürde bestehe in der Schwierigkeit, wenigsten 3 Schießzeuge besorgen zu müssen, denn Schweine Erwin hatte angedeutet, dass eine MP wohl nicht unter 5000 Euro „unter Brüdern“ zu haben sei. Für eine Munitionierung würde fast nochmal der gleiche Betrag fällig werden usw. usw.
Zur Zeit kamen sie sich vor wie jener Bettler ohne Arme, der von einem gutmütigen Passanten eine alte Gitarre geschenkt bekommt, damit er sich etwas dazuverdiene.
Nach dem dritten Wodka offenbarte Werner, der früher Komparse beim Theater gewesen war, ein Geheimnis:
“ Ich habe 1100 Euro vor dem Sozialamt versteckt , sozusagen als eiserne Reserve für Notfälle oder geschäftliche Gelegenheiten. Das Geld steckt in einem Laptop, den mein Sohn mir vor seinem Auswandern geschenkt hat. Für Notfälle hat er gesagt. So ein Fall scheint nach meinem Gefühl nunmehr eingetreten zu sein und ich erkenne keinen Grund, warum ich nicht als Teilhaber und Finanzier einspringen sollte.“
Verblüfft schworen Jan und Dieter , dass er von der ersten Beute seine „Einlage“ zurückbekommen würde und so gingen alle froh und beschwingt nach Hause und die Literflasche war kaum halb leer.
Es ist doch schön, wenn man in seinem alten Beruf noch einmal so richtig in die Vollen schreiten kann. Oder wie unser Lehrherr damals immer sagte, man weiß nie, wozu man dieses oder jenes Wissen noch einmal gebraucht.
Beim nächsten Treff war von der Wodkaflasche noch mehr als die Hälfte übrig. Das Wetter war aber feucht und kühl, und so musste man in der Wohnung von Jan die letzten Einzelheiten besprechen. Der Fußmarsch dorthin war nicht so einfach, denn der Dieter war leicht gehbehindert und selbst die zwei oder zweieinhalb Kilometer bereiteten ihm erhebliche Schwierigkeiten. Der Arzt hatte ihm gesagt, es sei nichts Schlimmeres – nur ein wenig Schmerzen werde er haben. Es konnte also auch daran liegen, dass er einfach nicht genug Bewegung hatte.
Der dritte Stremel:
https://blog.topteam-web.de/tipps-und-tricks/3-stremel-im-goldenen-schellfisch/