2. Stremel: In der Ankerwinde mit Schweine-Erwin

2. Stremel: Schweine-Erwin

Jan hatte vom Dieter und vom Werner je 3,50 Euro bekommen und wenn er von sich aus den gleichen Anteil dabei legte, hatte er 10, 50 Euro zum Verzehr in der Spelunke. Er hoffte inständig, dass er den „Schweine-Erwin“ treffen würde, dessen richtigen Namen er nicht kannte, aber er wusste aus seiner Werft zeit, dass dieser Mensch noch keinen Handschlag ehrliche Arbeit im Leben geleistet hatte, ähnlich wie manche Prominenten aus der Zeitung. Wovon Schweine-Erwin eigentlich lebte, konnte oder wollte niemand so genau sagen, aber ab und an ging er auf Staatskosten in „Urlaub“ und da würde er bestimmt die richtige Auskunftsquelle für  Jan und seine Freunde sein.

Endlich habe ich ein Bild gefunden von der Ankerwinde-Bar. Wenn ihr Schweine Erwin dort trefft, grüßt bitte von mir.


Kurz nach 14 Uhr war Jan in der Kneipe weil er die Schichtzeiten der Schauerleute und anderer Hafenarbeiter  kannte,  und tatsächlich war Leben und Trubel in der Bude. Es stank wie immer nach Bier, Rauch, Schweiß und ein wenig auch nach Erbrochenem und in einer Ecke, die wohl schon seit 15 Jahren sein Stammplatz war, saß der Schweine-Erwin, eine massige Gestalt mit einem Gesichtsausdruck, der bei einem Fremden unhöfliche oder laute Schimpfworte im Keim ersticken würde.

Jan sah, dass auch Schweine-Erwin älter geworden war und sein Gesicht war gezeichnet mit tiefen Kerben und Falten. Jan konnte nicht deuten, ob es sich um Spuren von Trauer und Verbitterung handelte oder ob es Brutalität und Skrupellosigkeit, Hinterhältigkeit waren. Vielleicht war es auch nur ein Magengeschwür.
Der Erwin, wenn er denn so heißen sollte, erkannte Jan und dieser fragte nach einem „Moin, Erwin, was machst Du den so?“ gleich mal ob der Erwin ihm denn mit einer kleinen Auskunft helfen könne.

„Mach schon das Maul auf und sag, was du willst!“ meinte  Schweine-Erwin freundlich. Eine solide Bierfahne strömte mit den Worten aus seiner Richtung dem Jan entgegen.

„Ja, weißt du“, fing Jan vorsichtig an, „manche Leute erzählen über dich…“. Eine kleine Pause entstand.

„Na, was erzählen die über mich, spuck es endlich aus!“ Erwin schien die Geduld zu verlieren. Jan fasste allem Mut zusammen und brachte mühsam einen Satz heraus: “ Manche denken, du kennst dich auch hinter dicken Mauern aus.“

„Na und? Du kannst ruhig lauter sprechen. Bin stolz drauf.“ Beleidigt schien Erwin auf keinen Fall zu sein. „Musst Du denn auch bald rein? Hast` was ausgefressen?“

Jan fiel ein Stein vom Herzen. Hier würde er erfahren, was er brauchte.

“ Nee, weißt, du, ich habe 2 Kumpels aus dem Altersheim und wir wollten mal mit ´nem kleinen Bruch was dazuverdienen.  Is schon `n tristes Leben so ohne Geld. Kannst gerne mitmachen, wenn du willst.“

Erwin zog die Augenbrauen hoch. “ Ich mach schon lange keine Brüche mehr, und Ihr seid doch viel zu alt, und ihr seid auch zu doof. Einen Bruch kann nur machen, wer 3 mal erwischt worden ist und mindestens 4 Jahre gesessen hat. Denn im Knast lernt man am meisten.   Eventuell ginge für euch noch `n kleiner Bankraub.  Habt ihr denn Kanonen? Könnt ihr was investieren?  Und was ist, wenn man Euch schnappt?“

Die  Antwort von Jan verblüffte Schweine-Erwin total . „Das wollen wir doch grade, damit wir den täglich Krampf um Miete und Essen, Heizung, Medizin endlich für immer los sind. “ Wenn Schweine – Erwin nach allem was er erlebt hatte noch einen Gesichtsausdruck des ungläubigen Staunens hervorbringen konnte, dann hatte er es jetzt vollbracht.

„Ihr seid völlig bekloppt!“ entfuhr es Schweine-Erwin, unterlegt  mit einer besonders durchdringenden Bierfahne. Dann  antwortete er bereitwillig auf Jans diesbezügliche Fragen:  „Wasser und Brot als Vollnahrung gibt  es schon lange nicht mehr im Kittchen“, meinte Erwin, “ und je nach Laune der Anstaltsleitung kann man Zeitung lesen, Bücher ausleihen oder gar Fernsehen beantragen“.

Wobei in den Anstalten oft ein Gemeinschaftsraum zum Fernsehen war und man müsse sich mit den anderen Insassen auf das Programm einigen.
Ansonsten könne bei guter Führung auch mit Freigang rechnen oder andere kleine Vergünstigungen bekommen. Ärztliche Versorgung gebe es auch,  aber halt nur „Karo Einfach“ wie heute bei den Rentnern der Krankenkassen. Wer einen Gottesdienst besuchen wolle, könne jeden Sonntag singen: Bis hierher hat mich Gott gebracht in seiner großen Güte….“Bin selbst nie hingegangen, aber mein Zellenkumpan hat mir `s erzählt.“

Jans Unterhaltung mit Schweine-Erwin erwies sich als äußerst informativ. Er erfuhr nicht nur vieles über das Leben in verschiedenen Gefängnissen, ihm wurde auch abgeraten, einen Einbruch in eine Tankstelle, Bank oder einen Kiosk zu begehen. „Dort ist nicht viel zu holen und schließlich seid Ihr viel zu alt, um noch solche körperlichen Anstrengungen auf euch nehmen zu können!“

Dann gab es noch den kostenlosen Tipp, für einen Bankraub die Waffen zu besorgen : „Wenn ihr ne Kanone braucht riecht mal in „Zum goldenen Schellfisch“ rein.  Dort fragts Du  nach Fiete, der ist  zwar Rumäne und heißt ganz anders, aber weil er plattdeutsch kann, nennen ihn alle Fiete . Sag ihm, dass der Schweine-Erwin dich schickt. Sonst kriegst du nichts oder viel zu teuer.“ Dann würde er anständige Preise für seine Bewaffnung bekommen. „Der Fiete ist nämlich ein Schlitzohr, der bescheißt jeden nach Strich und Faden.“

„Den Goldenen Schellfisch kenne ich. Die Wirtin war damals Dorothea. Wann ist der Fiete denn immer dort?“, wollte Jan wissen.

„So, so, die Wirtin war  Dorothea?“ Erwin hob die Augenbrauen. – “  Doro ist immer noch Wirtin da. Wenn der goldene Schellfisch um drei aufschließt, bleibt Fiete  bis ein Uhr nachts. Er wickelt dort seine kompletten Geschäfte ab. Nicht nur Ballermänner, ab und an auch Stoff oder anderes Zeugs.  Gültige Papiere und so…Egal, was du brauchst: Reisepass Zypern, Führerschein Ukraine, Kontoauszug Malediven über 5 Millionen US Dollar, er besorgt einfach alles. „

Erwin war richtig in Fahrt und kam mit einer ganz anderen „Geschäftsidee“ heraus:

“ Ich bin jetzt nämlich hauptsächlich im Wodka Geschäft. Du kannst im Abschiebebahnhof (Altersheim) für mich in Kommission verkaufen oder für meine Qualitätserzeugnisse werben. „

Jan schaute verdutzt. Wodka? Woher hatte Schweine-Erwin so viel Wodka? Aber der hörte gar nicht mehr auf: „Ich geb` dir jetzt `ne Literflasche zur Probe mit. Umsonst! Die super Ware bekommst du von mir für 4 Euro den Liter. Wirst du glatt für 10 Euro los. Mehr als die 6 % kann ich dir aber nicht geben.“

Als Jan über diese Berechnung sehr skeptisch dreinschaute setzte Erwin noch einen Nachsatz, um Jan vollends zu überzeugen: „Das ist ein Jahrhundertgeschäft, ohne Risiko und fast ehrlich. Wird in einer sauberen Destille in Bulgarien gebrannt. Und dann solltet ihr noch bedenken, wenn einer geschnappt wird und den Fiete verrät, der ist ein toter Mann. Die Wodka – Geschichte ist dagegen harmlos. Der Staat ist der einzige, der geschädigt wird;  und der hat ja auch dich geschädigt.“

Mit vielen Dankeschöns nahm Jan die Flasche hochprozentigen Wodkas und eilte nach Hause. Nicht einmal das komplette Bewegungsgeld von 10,50 Euro hatte er gebraucht, denn sein Bier kostete nur 3 Euro 20 und der Schweine-Erwin hatte noch eine Runde geschmissen, wobei er auf gute Zusammenarbeit anstoßen wollte.
Das konnten jedoch wohl noch nicht alle Informationen sein, die man für so ein kompliziertes Vorhaben wie einen Bankraub braucht.

Trotzdem war es eine unglaublichen Fülle von Erkenntnissen mit der  Jan aus der „Ankerwinde“ gekommen war, und kaum konnte er das Zusammentreffen mit den Kollegen abwarten, damit er alles brühwarm erzählen könne. Außerdem musste er auch immer noch über Schweine-Erwins Wodkageschäft nachdenken. Wenn sie nur eine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse wollten, dann genügte ja ein ständiges ausreichendes Einkommen, wozu dann noch Bankraub?  Die Freunde hatten vereinbart, dass sie sich nun entweder auf einer einsamen Stelle im Stadtpark treffen würden, oder bei Jan in der Wohnung, denn nicht jeder musste unbedingt mitbekommen, was die Opas beredeten. Beim schönen Wetter am nächsten Tag saßen sie nun im Stadtpark und genehmigten sich nach langer Zeit einen Schluck aus der geschenkten Wodkaflasche, die sie wohlweislich vor anderen Besuchern des Parks in einer Aktentasche versteckt hielten. Jan eröffnete die Diskussion:

„Der Schweine-Erwin meinte, im Knast ist es so ähnlich wie im Altersheim. Nur da bekommt man überhaupt kein Geld in die Hand, kann höchstens ein paar Cent verdienen und davon Bonbon oder Tabak kaufen.“ „Und Wodka?“ fragte Werner. „Wodka gibt es im Gefängnis nicht. Jedenfalls kann man ihn nicht kaufen. Der Erwin hat eine tolle Geschichte über selbst gebranntes Zeug erzählt, aber ganz bin ich da nicht hinter gestiegen. „

Dieter meinte: “ Wir haben doch auch schon mal Wodka getrunken. Ist es sowas? War doch gar nicht schlecht.“

“ Ja“ , meinte Jan, “ das sind die Etiketten von der russischen Standard – Marke. Die kleben Erwin und seine Kumpane auf selbst gebrannten Kartoffelschnaps. Den sollen wir dann im Altersheim weiter verkaufen.“

Zweifelnd meinte Werner: “ Ich kann mir nicht vorstellen, dass das klappt. Wir sind bei uns im Altersheim vielleicht 10 Männer, die einen Schluck vertragen würden. Vier liegen ständig im Bett. Von den 30 alten Frauen werden eine oder zwei auch mal Alkohol trinken. Wenn wir aber viel verkaufen wollten, müssten wir auch andere Altersheime, wie z. B. in der Rabenbergstraße abklappern. Wie sollen wir aber so viele Flaschen schleppen? Woher sollen die anderen Bewohnenden das Geld für Schnaps nehmen. Und die Flaschen müssen sie ja wohl vor der Heimleitung verstecken. Denn den anderen Bewohnern geht es nicht viel besser als uns.“

Je länger aber Jan über die Bedingungen im Gefängnis und über den Waffenhändler erzählte, desto mehr verwarfen sie das Wodkageschäft. Werner meinte druckreif: „Unsere zu erwartenden Strafen beim Verkauf von illegal gebranntem Wodka würde wohl nicht für eine staatliche Versorgung bis ans Lebensende ausreichen. Wir würden einfach nur zu kurzen Haftstrafen verurteilt. „

“ Du hast ja recht. Wenn wir dann wieder rauskommen, dann sind wir schlechter dran als vorher. Dann bekommen wir nicht einmal eine Mietwohnung und können auf der Straße kampieren. „

Das gab Jan zu bedenken und Dieter nickte vielsagend um dann den einzig gangbaren Vorschlag zu präsentieren.

„Wir müssen eine Bank überfallen. Mit Bewaffnung. Das hilft alles nichts.“

Nach dem zweiten oder dritten Schluck Wodka schienen ihre Pläne greifbar nahe, vielleicht sogar einfach.  Es konnte doch nicht so schwer sein, in die Bank hineinzugehen, alles Bargeld zu fordern und wieder hinauszugehen. Man müsse halt nur die richtige Bewaffnung dabei haben, solche, die auch Eindruck schinden würde.

Einige Male kam auch die Rede auf die gegenwärtigen Lebensbedingungen. War es wirklich mit dem Strafvollzug vergleichbar, was sie heute in Deutschland erleben mussten?  Werner meinte aber vom Theater her zu wissen, dass es auch in der Vergangenheit oft Bestrebungen von unterprivilegierten Personen gegeben hatte, wenigstens im Winter ein warmes Quartier zu haben, indem man ins Gefängnis ging. Er erinnerte an einen Film mit dem Titel: Im Kittchen ist kein Zimmer frei.

Warum sollte diese Methode nicht auch für ein bequemes Lebensende funktionieren? Schließlich sei es Generationen von Bankräubern gelungen, warum grade ihnen nicht. Die einzige Hürde bestehe in der Schwierigkeit, wenigsten 3 Schießzeuge besorgen zu müssen, denn Schweine Erwin hatte angedeutet, dass eine MP wohl nicht unter 5000 Euro „unter Brüdern“ zu haben sei. Für eine Munitionierung würde fast  nochmal der gleiche Betrag fällig werden usw. usw.
Zur Zeit kamen sie sich vor wie jener Bettler ohne Arme, der von einem gutmütigen Passanten eine alte Gitarre geschenkt bekommt, damit er sich etwas dazuverdiene.
Nach dem dritten Wodka offenbarte  Werner, der früher Komparse beim Theater gewesen war, ein Geheimnis:

“ Ich habe  1100 Euro vor dem Sozialamt versteckt , sozusagen als eiserne Reserve für Notfälle oder geschäftliche Gelegenheiten. Das Geld steckt in einem Laptop, den mein Sohn mir vor seinem Auswandern geschenkt hat. Für Notfälle hat er gesagt. So ein Fall scheint nach meinem Gefühl nunmehr eingetreten zu sein und ich erkenne keinen Grund, warum ich  nicht als Teilhaber und Finanzier einspringen sollte.“

Verblüfft  schworen Jan und Dieter , dass er von der ersten Beute seine „Einlage“ zurückbekommen würde und so gingen alle froh und beschwingt nach Hause und die Literflasche war kaum halb leer.
Es ist doch schön, wenn man in seinem alten Beruf noch einmal so richtig in die Vollen schreiten kann. Oder wie unser Lehrherr damals immer sagte, man weiß nie, wozu man dieses oder jenes Wissen noch einmal gebraucht.

Beim nächsten Treff war von der Wodkaflasche  noch mehr als die Hälfte übrig. Das Wetter war aber feucht und kühl, und so musste man in der Wohnung von Jan die letzten Einzelheiten besprechen. Der Fußmarsch dorthin war nicht so einfach, denn der Dieter war leicht gehbehindert und selbst die zwei oder zweieinhalb Kilometer bereiteten ihm erhebliche Schwierigkeiten. Der Arzt hatte ihm gesagt, es sei nichts Schlimmeres – nur ein wenig Schmerzen werde er haben. Es konnte also auch daran liegen, dass er einfach nicht genug Bewegung hatte.

Der dritte Stremel:

https://blog.topteam-web.de/tipps-und-tricks/3-stremel-im-goldenen-schellfisch/

 

Knast statt Altersheim

Hier geht`s los mit der Geschichte: Knast statt Altersheim

  1. Stremel: Jan Daballer
    Die Sache mit der Kreuzfahrt statt Altersheim scheint doch vielen Lesern einleuchtend gewesen zu sein, vor allem natürlich unter dem Kostenaspekt. – Es gibt aber noch eine zweite Methode, von der ich soeben (2006) erfahren habe. Auch sie erscheint völlig einleuchtend, wenn man sie Punkt für Punkt durchrechnet. Man braucht dazu etwas Mut, eine gute Idee und eine Kalaschnikov, wobei es auch eine Uzzi , eine Beretta, eine Häckler & Koch oder eine andere funktionierende MP tun würde. Hier mal ganz von vorne zur Situation vieler Rentner, und dieses ist nicht an den Haaren herbeigezogen, wie man unschwer in einigen Gesprächen herausbekommen kann.
    Herr, nennen wir ihn mal Daballer, wurde mit 62 Jahren Rentner, nachdem er seit seinem 59 Jahr arbeitslos gemeldet war. Da wurde es nichts mehr mit der üppigen Altersruhe, denn ihm blieben noch 750 Euro brutto. Davon musste er über hundert Euro Krankenkassenbeitrag blechen . So waren es schließlich nur noch 615 Euronen, mit denen er wirtschaften konnte.
    Die (Kalt) Miete für seine 2 Zimmer war inzwischen auf 230 Euro gestiegen und die restlichen 385 Euro waren noch nicht etwa der Grundbetrag, von dem er leben konnte. Die Stadtwerke hatten inzwischen seine monatliche Strompauschale auf 41 Euro erhöht und wegen der gestiegenen Heizölpreise war die Heizpauschale auf 61 Euro monatlich geklettert. Schwupp war man bei 283 Euro. Nun können ja die Müllabfuhr, die Wasserwerke und die Telefongesellschaft nicht völlig umsonst arbeiten, aber nun endlich schienen ihm noch 205 Euro zum (Über)Leben zu bleiben.
    Da war aber doch noch  die GEZ, schließlich war das Fernsehen fast sein einziger Kontakt zur Umwelt, da war auch noch eine Zusatzzahnversicherung, die KV der Rentner war auch dabei nicht besonders großzügig, wie alles in Deutschland oder in der Welt, was sich in ruhigen Zeiten Versicherung schimpft, in Krisenzeiten aber als Panzerschrank ohne Öffnung entpuppt. Rechnet man noch die Zuzahlung für die Medikamente von Herrn Daballer mit ab, den monatlichen Bedarf an Toilettenartikeln usw. dann blieben alles in allem noch etwas unter 140 Euro für Nahrung und Kleidung.

Laaangweilig, die Aufrechnung? Für viele in ähnlichen Umständen sicher nicht.

Da die Rentner allgemein weiterhin mit Nullrunden, ja de fakto mit Rentenkürzung wegen Inflation und hohen Pflege- und Krankenversicherungsbeiträgen rechnen müssen, bleibt abzusehen, wann Herr Daballer entweder seine Miete nicht mehr zahlen kann oder die Heizung einsparen muss, oder halt die Ernährung gegen Null fahren durfte. Im Moment hatte immer noch ein wenig Übergewicht, aber das würde er in den nächsten 5 Jahren fast mühelos – aber hungrig – leicht loswerden.

Jedenfalls begann unser Held zu grübeln. War das der Dank für die Schwerstarbeit auf Werften und auf dem Bau, die er oft unter Lebensgefahr für das aufstrebende Deutschland geleistet hatte? War das der Dank, dass er gegen Ende seines unfreiwillig durch eine absolute Pleite seiner letzten Firma abgebrochenen Erwerbslebens hunderte von – damals – D-Mark an Abzügen für Rentenversicherung gezahlt hatte? Irgendwie war er mit diesem „Dank“ nicht ganz zufrieden und sann auf Nachbesserung. Je mehr er verglich, wie jene Politiker lebten, die ihm diese ganze Misere mit ihrer Lobbyisten Wirtschaft eingebrockt hatten, und jene Kumpels von früher, denen es genau wie ihm vergleichbar bescheiden ging, umso mehr kam ihm der Gedanke, dass hier eine ganze Generation den Buckel für eine Minderheit hinhalten musste.

Dieter Drage, Werner van Straaten,

Wie kam er nun dazu, eine Opa-Gang zu gründen. Es begann alles damit, dass er ab und an mal im Altersheim vorbeiging, wo zwei Bekannte von ihm untergebracht waren. Eigentlich war es nur ein Bekannter, der Dieter Drage. Der war zeitweise ein früherer  Arbeitskollege bei einem großen  Baukonzern gewesen und lebte nun im Altersheim in der Moltke-Straße. Dort gab es mehr Frauen als Männer und daher hatte der Dieter sich mit dem Werner angefreundet, der einmal am Theater als Edelkomparse ein interessantes aber wenig einträgliches Leben gefristet hatte. Das Theater faszinierte ihn noch immer und wenn wer sich Backstage im Astoria Theater blicken ließ, traf er die eine oder andere Bekannte zum kleinen Insiderplausch.

Der Dieter und auch Werner hatten nicht etwa etwas gegen Frauen, es waren einfach die Themen bei Unterhaltungen. Wie auch heute noch gehen Frauen- und Männerschicksale im Laufe des Lebens  oft weit auseinander.  Da braucht es schon einen höheren Grad an Bekanntschaft, um für beide passende Unterhaltungsthemen zu finden. Das könnten gemeinsame frühere Schulen, Arbeitsstellen wie ein bestimmtes Theater, Sportvereine oder Hobbys gewesen sein. Was man so Vergleichbares  in vergangenen Jahren  eben erlebt hatte.

Die beiden Männer waren 66 und 68 Jahre alt und seit zwei Jahren im Altersheim, weil die Kinder, im Ausland lebend, keinen Platz in deren Wohnungen hatten. Leider war im Moment kein betreutes Wohnen in der Stadt im Moment frei. Eine neue eigene Wohnung konnte sich in der Stadt mit knapp 780 Euro Rente keiner leisten. Dieter mit seiner Behinderung kam auch schlecht allein zurecht.

Nun hatten sie zwar Unterkunft, Verpflegung und einen fast geregelten Tagesablauf, trotzdem waren sie mit ihrer Situation nicht zufrieden. Sie mussten schließlich ihre komplette Rente dem Heim überlassen, bekamen nur 40 Euro Taschengeld. Bei schönem Wetter saßen alle 3 im Garten des Heimes auf ein Bank und erzählten aus ihrem Leben. Dabei kamen sie schnell darauf, dass keiner mit seiner Situation zufrieden war und keiner fühlte an seinem Schicksal eine eigene Schuld.

Dieter meinte eines Tages in die Runde:

„Unser größter Fehler war, dass wir arme Eltern hatten. Das ist einfach unverzeihlich. “

Die anderen beiden nickten zustimmend. Nach einer kurzen Pause meinte der Jan:

„Ein Kind armer Eltern bleibt in der Regel ein Kind armer Eltern bis zum Tod. Dafür sorgen die Umstände bei uns.“

Auch der Werner wollte seine Gedanken zum Gespräch beitragen und bei seinen Worten merkte man, dass er am Theater auf jeden Fall sprechen gelernt hatte.

„Nun, wo wir unsere staatsbürgerliche Pflicht erfüllt haben, schiebt man uns ab und lässt  uns der Langeweile anheim fallen…“
Mit einem tiefen Seufzer schienen die drei zuzustimmen.

Jan, dessen ehemaliges Bauarbeiterdasein auch in der Unterhaltung nicht zu überhören war, meinte lakonisch:

„Nicht mal besaufen kann man sich ohne Geld. Fußball oder Kino kannst du glatt vergessen. Abends ein Bier in der Kneipe? Unmöglich. Gut, dass ich nicht rauche.“

Desto öfter sie zusammenkamen und je mehr sie diskutierten schien sich herauszustellen, dass es einzig und allein an Geld fehle. Mit genügend Geld könnte man sich eine gemeinsame Wohnung nehmen, eine Putzfrau oder Köchin einstellen, vielleicht sogar hin und wieder essen gehen, bessere Gesundheitsvorsorge bekäme man, usw. usw.

Die Kassen müssen sparen, das versteht man.

Eines Tages in einer besonders hitzig geführten Debatte sagte einer: „Man müsste einfach mal eine Bank ausrauben. Das Geld liegt auf der Straße, Menschenskind.“

Heute kann man nicht mehr sagen, wer als erster den Vorschlag machte.

„Ein wirklich revolutionärer Vorschlag!“ das sagte auf jeden Fall Werner darauf. „Aber ob wir wirklich in der Lage wären…“
  Zunächst wiesen aber alle 3 den Gedanken weit von sich. Dann begannen Dieter  zu vergleichen, was denn im Gefängnis anders sei, als ihre jetzige Situation; wenn sie denn ins Gefängnis kämen:

“ Da hast du Heizung, Essen und Beschäftigung umsonst, kannst einmal am Tag spazieren gehen, nur mit dem sprichwörtlichen Wasser und Brot, damit würde ich nicht zurecht kommen.“

Werner nickte mit dem Kopf und zitierte aus der Bibel: „Hänge dein Herz nicht an irdische Dinge, denn der Rost wird sie fressen und nachts kommen die Diebe. “ Im Bruchteil einer Sekunde fügte er hinzu:

„Mensch Jan, du kennst doch jede verrufen Kneipe am Hafen und in der Stadt. Kannst Du vielleicht einmal einen Knastologen fragen, wie das heute so im Gefängnis zugeht?“

Jan  konnte seit seiner Werftzeit ziemlich unbekümmert in berüchtigte Hafenkneipen gehen, und obwohl er sich nie etwas zu Schulden kommen lassen hatte, kannte er sich sogar mit dem besonderen Terminus aus, der dort gesprochen wurde. Er würde nirgends auffallen. Damit hatte er oft ein wenig geprahlt. Und der Werner erinnerte ihn nun daran.  Jan schien der Vorschlag auch nicht zu abwegig, aber dann gab er  zu bedenken:

„Ob ich nun direkt einen ehemaligen Straftäter kenne weiß ich nicht. Man erkennt die Menschen ja nicht an der Nasenspitze. Wahrscheinlich sind in der  Ankerwinde viele Gäste die Erfahrungen mit der Polizei gehabt haben. Ziemlich sicher bin ich mir da nur bei dem Schweine-Erwin. Es gibt eben Lords in Lumpen und Lumpen im feinen Zwirn.“

Der Dieter hatte eine Idee: „Wenn bei uns einer im Sommer neu anfangen wollte, der dann noch ganz blass war, sozusagen ohne Sonne gelebt hatte, dann wurde immer schon getuschelt. Wenn er dann noch ganz stümperhaft tätowiert war, dann konnte man glauben, dass er gesessen hatte.“

Es schien, als wolle Jan von sich aus gerne einmal die ehemaligen Kneipenbesuche  „nur mal aus Interesse“ auffrischen.  Vielleicht kannte er den einen oder anderen Gast noch von vor 3 Jahren, ehe er zum Rentner wurde. Dann meinte er – fast beiläufig: „Damit ich etwas verzehren kann brauche ich aber eine kleine Wegzehrung.“

Die beiden anderen wussten, was gemeint war.   Man legte  7 Euro zusammen, damit  er etwas Verzehrgeld mitnehmen konnte. Damit würden wenigstens die Kosten für ein kleines Bier gedeckt.  Die anderen beiden würden bis zum nächsten Treffen  gespannt auf seinen Bericht warten. Außerdem wollten sie nunmehr sicher gehen, dass sie nicht belauscht werden könnten und beschlossen, sich zukünftig in der Wohnung vom Jan am Ende der Moltkestraße zu treffen.
Die  3 „alten Kameraden“ kamen überein, sich jeden Donnerstag in Jans Wohnung  zu treffen. An einem solchen Tag  warteten schon Werner und Dieter  gespannt, was der Jan wohl über seinen Besuch in der berüchtigten Hafenkaschemme „Ankerwinde“ über die Gepflogenheiten im Gefängnis berichten würde.

Verpassen Sie nicht den 2. Stremel  https://blog.topteam-web.de/tipps-und-tricks/in-der-ankerwinde-mit-schweine-erwin/